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Die Verschwoerung von Toledo

Die Verschwoerung von Toledo

Titel: Die Verschwoerung von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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die es zu durchschreiten gilt. Zuerst mussten wir den Auszug aus Ägypten schaffen, mit dem wir die Zeit der Urväter beendeten. Dann fiel Jerusalem, und der jüdische Staat endete, die erste Diaspora über die Randländer des Mittelmeerraumes begann. In Frankreich haben wir die Vertreibung erlebt, die einen Schlussstrich unter die erste große Blüte jüdischer Kultur im Galuth setzte. Wir hatten keine Zeit, uns zu wehren, weil wir immer auf den Anbruch des neuen Zeitalters warteten.«
    »Vor allem aber«, meinte Joshua, »sind wir eben eine friedliche Glaubensgemeinschaft, und wir glauben, dass alles in Gottes Hand liegt! Was auch geschieht, es geschieht mit seinem Einverständnis! Wie könnten wir uns also dagegen auflehnen?«
    »Das muss nicht so bleiben, Joshua«, sagte Theophil. »Wenn es Ferrand gelingt, Toledo gegen die Judengemeinde aufzuhetzen, dann gibt es einen Bürgerkrieg. Denn wir, die Juderia von Toledo, sind es leid, Opfer zu sein. Wir werden unsere Rechte, die wir mühsam erworben haben, diesmal verteidigen.«
    Henri fragte listig: »Könnt Ihr nicht auch Ferrand beseitigen? So, wie Ihr die Ratte beseitigt habt?«
    Und Theophil antwortete noch listiger, wobei sich sein gütiges Antlitz in schmunzelnde Falten legte: »Davon kann nicht die Rede sein, mein Sohn! Niemand hat jemanden beseitigt. Aber manchmal verschwinden eben unwürdige Kreaturen auf Nimmerwiedersehen durch Spalten im Erdboden, die sie selbst vorher aufgerissen haben.«
    »Theophil, ich bitte Euch, verjagt Ferrand! Habt Ihr genug Einfluss in Toledo? Könnt Ihr dafür sorgen, dass er nie mehr hierher zurückkehrt? Glaubt mir, er ist gefährlich!«
    Theophil von Speyer antwortete seufzend: »Hat das nie ein Ende? Also gut, ich verspreche Euch – es geschieht ja in unserem eigenen Interesse –, dass ich meinen Einfluss im Stadtrat geltend mache, um den Fremden loszuwerden. Ich weiß, dass es Staatsbeamte wie den Lizenziaten des kanonischen Rechts, Torquilla, und auch Baccalaurei der Theologie sowie christliche Geistliche im Rat gibt, denen daran gelegen ist, unsere Judengemeinde und die Schule zu erhalten. Auf sie setze ich. Wenn aber der Mob losstürmt, dann gibt es kein Halten mehr.«
    »Deshalb handelt schnell. Ihr dürft keine Stunde zögern!«
    »Ich gehe morgen zum Großkonnetabel der kastilischen Krone. Auch der Marquis de Villanueva ist ein aufrechter Mann. Wir stehen unter dem Schutz des Königs. Denn wir bezahlen ja, wie du sicher weißt, keinen Kirchenzehnten, sondern führen unsere Steuern unmittelbar an die Krone ab. Wenn uns Gewalt angedroht wird, muss der König handeln.«
    »Die königliche Gunst ist wankelmütig«, meinte Joshua. »Und manchmal kommt es mir so vor, als seien wir nicht Schutzbefohlene, sondern Leibeigene der Krone.«
    »Es stimmt«, sagte Theophil, »wir leben in völliger Abhängigkeit vom Schutz des Königs. Und die Tatsache, dass zunehmend seine Soldaten das Stadtbild beherrschen, ist nicht immer nur beruhigend. Aber Alfons braucht uns ebenso wie wir ihn.«
    »Morgen kann es schon zu spät sein«, sagte Henri beschwörend. »Geht gleich zu den Verantwortlichen dieser Stadtgemeinschaft. Lasst diesen Ferrand de Tours als Volksverhetzer legal ausweisen. Wenn ich lange darüber nachdenke, könnte ich sonst auf den Gedanken kommen, ihn höchstpersönlich mit dem Schwert zu vertreiben!«
    »Ladet keine Schuld auf Euch, mein Sohn! Nein, ich werde handeln.«
    »Ich empfinde Schmerz darüber«, sagte Joshua, »dass die Kabbala-Sitzungen so unrühmlich enden mussten. Ich habe für dich so viel damit verbunden, Henri! Willst du nicht doch die zehnte und letzte Lektion anhören und die Bücher zu Ende lesen?«
    Henri schüttelte nur den Kopf. »Es gibt eine Zeit zum Studieren, und es gibt eine Zeit zum Handeln, Joshua. Jetzt muss gehandelt werden. Vielleicht kommt der Moment, wo du selbst mir die zehnte Lektion erteilen wirst.«
    »Ich bin Zahlenmystiker, kein Kabbalist.«
    »Dennoch glaube ich, du könntest das. Du kannst alles, wenn du willst!«
    »Übertreibe nicht, Henri de Roslin«, gab Theophil zu bedenken. »Joshua ben Shimon ist gewiss ein sehr weiser Mann, aber die Geheimnisse der Kabbala hat er nie bis zum Ende durchschritten. Auch er kennt die zehnte und letzte Lektion nicht.«
    »Das ist wahr.«
    »Nun, wie auch immer«, erwiderte Henri. »Wenn jetzt die Zeit zum Handeln ist, wie du sagst, dann handeln wir!«
     
     
    Die junge Jüdin hieß Azaria. Henri hatte noch nie ein so schönes Mädchen gesehen.

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