Die Verwandlung
The Vesper Company
»Der hellste Stern, der uns alle leitet.«
–Internes Dokument, Nicht für den Umlauf gedacht–
Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll von Person A / Abteilung B
Sitzung Teil 1– aufgenommen am 31.Oktober 2010
(Stühle quietschen, ein Mann hustet.)
F . Savage ( FS ) : Test. Sag » Hallo « .
Person A ( PA ) : Hi.
FS: Bitte gib für die Aufnahme Name und Alter an.
PA: (räuspert sich) Mein Name ist Emily Webb. Ich bin sechzehn Jahre alt.
FS: Kannst du bestätigen, dass du dieses Gespräch aus freien Stücken führst? (Stille.) Emily, ein Nicken kann ich nicht aufzeichnen.
PA: Ja, ist klar. Entschuldigung… Ja, ich mache diese Aufnahme freiwillig.
FS: Ich muss sagen, ich bin wirklich froh, dass du deine anfängliche Ablehnung überwunden hast, Emily. Du wirst sehen, dass wir lediglich deine Hilfe benötigen, um uns ein klareres Bild von den Ereignissen machen zu können, dievordem, ähm, Vorfall stattfanden.
PA: Sie meinen, bevor Sie uns entführten?
FS: Ähm, eigentlich meinte ich die unglücklichen Umstände davor. (Ketten klirren. PA nickt.)
PA: Und wenn ich Ihnen alles erzähle, lassen Sie uns gehen, stimmt’s?
FS: Wurde dir das so gesagt?
PA: Ja, so ungefähr.
FS: Dann werde ich das für dich klären. In der Zwischenzeit sollten wir uns die Abschrift deines Berichts ansehen. (Durchblättern von Papieren.) Emily, duhast sehr viele Seiten geschrieben, seit du hier bist. (Weiteres Durchblättern von Papieren.) Eine Menge, ähm, eine ganze Menge Seiten.
PA: Na ja, Sie baten mich darum, meine Geschichte aufzuschreiben, also dachte ich…
FS: Nein, nein, das ist in Ordnung, es ist nur viel zu lesen. Lass uns sehen, was wir hier haben. Dies hier ist die Schilderung der ersten Woche? Ist das zutreffend?
PA: Ja, das stimmt.
FS: Wie beginnt das Ganze? Ich meine, mit welchen Ereignissen?
PA: Mit der Nacht, in der Emily Cooke ermordet wurde. Da habe ich zum ersten Mal… Es war das erste Mal, dass ich merkte, dass etwas nicht stimmte.
1
Du wirst doch nicht zu Dr. Jekyll undMr.Hyde, oder?
Ich war schon halb aus dem Schlafzimmerfenster geklettert, als mein Handy klingelte. Der Klingelton– ein Popsong aus der Zeit, als ich noch zwölf war– ertönte verzerrt und kreischend. Halb drinnen, halb draußen versuchte ich, mich mit meinen nackten Beinen auszubalancieren, bis ich schließlich mit einem Fuß Halt an meinem Schreibtischstuhl fand. Nicht gerade der ideale Zeitpunkt für einen Anruf. Ich beachtete ihn nicht weiter, und der Song verstummte abrupt, als die Mailbox ansprang. Während der geräuschlosen Aufzeichnung der Nachricht konnte ich ganz deutlich die nächtlichen Geräusche wahrnehmen– den kalten Wind, der durch die Bäume pfiff, das Widerhallen von Hundegebell, das sich zwischen den Häusern fing, einen Raser, der laut hupend die Straße entlangdonnerte. Genau da hinaus musste ich jetzt, musste eins werden mit der Dunkelheit, die unter meinem Fenster lag, mich im Dreck suhlen, alles Denken abstreifen. Lächelnd machte ich mich daran, durch das Fenster zu schlüpfen, als mein Handy erneut klingelte.
Mal im Ernst, lieber Anrufer: miserables Timing.
Ich schob eine Hand in die Tasche meiner Shorts und holte das Handy heraus. Das Display sah derart verschwommen aus, dass ich die Augen zusammenkneifen musste. Da stand » Reedy « .
Reedy– meine spindeldürre beste Freundin Megan. Meine sehr hartnäckige beste Freundin Megan.
Ich hatte etwas vor und keine Lust zu reden… aber es war schließlich Megan, also musste ich rangehen. Ich wusste auch, dass sie beharrlich genug war, um mich so lange anzurufen, bis ich ranging.
Also klappte ich mein Handy auf und hielt es ans Ohr. » Hallo? «
» Emily? « Megans Stimme klang zitterig und besorgt. » Bist du das? Geht es dir gut? «
» Was? « Komische Frage. Natürlich ging es mir gut, besser als gut sogar. Etwas schoss an meinem Fenster vorbei, vielleicht irgendein Vogel, der im nächtlichen Sturzflug Jagd auf ein Nagetier machte. Meine Gedanken drifteten von Megan, ihrem Tonfall und ihren Fragen ab und zurück zu der Welt da draußen. Es war, als hätte die Nacht ihren ganz eigenen Geruch, einen schweren Duft, der mich einlullen und mit seinen lockenden Fingern nach draußen ziehen wollte– wie in einem dieser alten Zeichentrickfilme. Mein Körper schmerzte beinahe vor Verlangen, aus dem Fenster zu springen, auf den Boden aufzusetzen und loszurennen.
» Emily? « , fragte Megan noch einmal.
Ihre Stimme klang so tief
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