Die Verwandlung - Blutsbande 1
Haar in so etwas wie einem Pferdeschwanz zu bändigen. Unter der Dusche war mein Mascara verlaufen, und ich wischte ihn mit meinem Ärmel fort. Das trug nur dazu bei, dass die schwarzen Ringe unter meinen Augen noch größer wurden. Meine fahle Haut spannte über meinen Wangenknochen, meine blauen Augen waren kalt und glanzlos. Noch nie hatte ich so fertig ausgesehen.
Wann bin ich eigentlich so weinerlich geworden? So ein Angsthase? In mir stiegen Erinnerungen auf, die ich nicht beiseitedrängen konnte. Wie ich mich zusammen mit den anderen Medizinstudenten über den Austauschstudenten lustig gemacht hatte, der sich am ersten Tag im Anatomiekurs übergeben hatte. Oder damals, als ich in der achten Klasse Amy Anderson, die sich immer für etwas Besseres hielt, von der Bushaltestelle aus nachgelaufen war, um ihr Regenwürmer ins Haar zu stecken.
Wie sich herausstellte, war ich einer der Menschen geworden, die ich verachtete. Für alle Kollegen der Notaufnahme des St. Mary’s Hospital war ich nun ein zimperlicher Fachidiot, ein quietschendes Mädchen. Die Vorstellung schnitt mir so sehr ins Herz, dass es eines chirurgischen Eingriffes bedurft hätte, um mich zu kurieren.
Ein Klopfen unterbrach mich in meinem Selbstmitleid. „Ames, sind Sie noch da drin?“
Die Tür ging auf, Dr. Fuller kam herein und ging zu einer schmalen Bank hinüber.
Einen Augenblick lang sagte er gar nichts. Aber ohne hinzusehen wusste ich, dass er den Kopf hängen ließ. Seine Hände steckten in den Taschen seines frischen weißen Kittels, die Ellenbogen hielt er dicht an die Seite gepresst. So sah er aus wie ein großer grauer Storch.
„Also, bleiben Sie noch?“, fragte er plötzlich.
Ich zuckte mit den Schultern. Gleichgültig, was ich zu sagen hätte, um meine Vorstellung von vorhin zu rechtfertigen, es wäre nur eine lahme Entschuldigung. Wie die, die von zahllosen Medizinstudenten hervorgebracht werden, die bald darauf nicht mehr zu den Vorlesungen kommen.
„Wissen Sie“, fing er an, „ich habe schon viele Ärzte gesehen, gute Allgemeinmediziner, die unter großem Druck einknicken. Sie werden müde. Sie haben Stress, vielleicht haben sie auch persönliche Probleme. Das passiert uns allen einmal. Aber einige von uns lassen es hier drinnen“, er deutete auf die Schränke hinter mir, „anstatt es da draußen kundzutun. Das ist es, was uns zu Ärzten macht, die leistungsfähig sind.“
Er wartete darauf, dass ich antwortete. Ich nickte nur.
„Ich weiß, dass Sie dieses Jahr viel durchgemacht haben, dass Sie Ihre Eltern verloren haben …“
„Aber hier geht es nicht um meine Eltern.“ Ich wollte ihn nicht unterbrechen, aber ich hatte es schon gesagt, bevor ich darüber nachdenken konnte. „Es tut mir leid. Aber ich bin wirklich darüber hinweg.“
Er seufzte tief und setzte sich auf die Bank. „Warum wollen Sie als Ärztin arbeiten?“
Ich setzte mich auch. Bevor ich antwortete, saßen wir dort eine Zeit lang wie ein Trainer mit seinem Starspieler, der ein wichtiges Spiel vergeigt hatte.
„Weil ich Menschen helfen möchte.“ Ich log. Sehr sogar. Aber ich kannte den eigentlichen Grund nicht, und ich wollte die Antwort auch nicht wissen. Echte Ärzte verlieren ihre Fähigkeit, menschlich und verständnisvoll zu sein, bevor sie ihr Abschlusszeugnis in den Händen halten. „Und weil ich meinen Beruf liebe.“
„Nun, ich liebe Golfspielen, aber das macht mich nicht zu Tiger Woods, oder?“ Er lachte über seinen eigenen Witz, bevor er wieder ernst wurde. „Wissen Sie, jeder Mensch erlebt einmal in seinem Leben eine Phase, in der er sich über die Ziele, die er sich gesteckt hat, klar werden muss. Er muss lernen, seine Grenzen zu erkennen und seine Fähigkeiten realistisch einzuschätzen.“
„Versuchen Sie mir gerade zu sagen, dass ich keine Zahnärztin werden soll?“, fragte ich und zwang mich zu lachen.
„Ich sage, dass Sie keine Ärztin werden sollten.“ Fuller klopfte mir tatsächlich auf den Rücken, als würde er damit seinen Worten die Schärfe nehmen wollen. Er stand auf und ging zur Tür, doch dann hielt er plötzlich inne, als habe er etwas vergessen.
„Wissen Sie …“, fing er an, doch dann sprach er seinen Satz nicht zu Ende. Stattdessen schüttelte er den Kopf und ging hinaus.
Ich war so wütend, dass ich die Fäuste ballte und durch die Nase schnaufte. Aber ich versuchte mich zusammenzureißen. Ich hatte bei dem Test, den alle großen Menschen bestehen müssen, versagt. Ich hätte ihm
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