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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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Frauen und Kindern, von Waffenschmieden, Hübschlerinnen und Predigern, die im Tross hinter ihnen her zogen. Ganze Arbeit. Wer von den Mönchen des Klosters, von den Bauern und Tagelöhnern der umliegenden Rheinauen und Weinberge nicht verhungert war, den schlitzten die Männer des schwedischen Königs auf. Überall auf dem Grund dieses eisigen Gartens lagen sie, Einwohner mit aus den Mauern herausgekratztem Kalk an den weißen Fingern, die sie abgeleckt hatten, um die nächsten Stunden zu überleben. Neben ihnen die geschlachteten Hunde und Katzen, zerlegte Pferde, die sogar auf dem vereisten Bach ins Tal rutschten, halbverdautes Gras und ausgespiene Wurzeln, Schafshäute. Und Menschenhaut.
    Oxenstierna wischte sich über die Augen und schrie, um die Bilder loszuwerden. Er bekam keine Luft mehr, und das lag nicht nur daran, dass sie ihm vor Jahresfrist die Hände auf dem Rücken zusammengebunden und die Kugel in seiner Brust mit glühenden Messern herausgeholt hatten. Aber er musste sich an seinen Auftrag erinnern. Wenn er um sich blickte, gefiel ihm durchaus, was er sah, die Plünderungen, in Blut getränkte Bücher, Rauch, Aas, Totenvögel, Lumpen, Leere. Aber das war nicht der Weltuntergang. Das war seine Reichspolitik. Was Jahrhunderte nach ihm kam, wenn der aufgeschriebene Teufelsspuk sich tatsächlich erfüllen sollte, war ihm egal. Ihm war es gleich, was im Jahr 1648 passieren würde, im Jahr 1777, im Jahr 1801, im Jahr 1961, im Jahr 1983 und 2012. Unvorstellbare Zeitläufte. Dann würden die Länder jedenfalls in protestantischen Händen sein.
    Der Reichskanzler bemerkte die höhnischen Blicke seines Adjutors und bemühte sich, seine Gedanken zusammenzuhalten. Er war kein Gesandter für gefährliche Bücher, sondern Politiker und Soldat. Die evangelischen Reichsritter vom Mittelrhein hatte er schon. Die aus Franken würden folgen. Man hatte die katholischen Stände mitsamt den feisten Mönchen und Schriftenhütern so schnell verjagt, dass sie ihre Bücher nicht mitnehmen konnten. Sie hatten sie im Kloster Eberbach zurückgelassen.
    Oxenstierna und sein Adjutor stiegen auf der Wendeltreppe des Turms zur Bibliothek empor. Mit Fußtritten bahnten sie sich den Weg durch gestürzte Standbilder, zersplitterte Waffen, Papierfetzen, besudelte Kleider. Jeder fluchte auf seine Weise, und der Reichskanzler spuckte gedankenverloren auf die Stufen aus rotem Sandstein, in Erinnerung an den Bischof von Speyer, der an diesem Tag die Festung Ehrenbreitstein den Franzosen überlassen hatte; Feinde wie diese verdienten den Tod, weil sie Verräter waren. Solche duldete er auf keiner Seite. Sein Adjutor fing ihn auf, er war gestolpert, sein Gesicht war weiß, er wollte zerstören, zerstören. Alles, was in dieser verfluchten Hexenküche der Mönche lag, würde er vernichten.
    Als sie oben ankamen, den eisigen Wind durch die offenen Fensterhöhlen im Gesicht, der Adjutor schwer schnaufend, der nur das geistige Rüstzeug kannte, nicht den Waffendienst, der das Studieren gefährlicher Bücher im Armarium dieses Klosters, das Kopieren der alten Schriften im Scriptorium gewöhnt war, dieser langmähnige, verfettete Wolf ohne Zähne, da bannte sie der Blitzschlag des Anblickes. Die uralte Bibliothek, feierlich schweigend in der Eiseskälte, mit der Überfülle ihrer Bücher bis zur Decke, keiner Partei angehörend. Oder welcher?
    Oxenstierna stierte aus übermüdeten Augen auf die Regale aus Eichenholz mit den Folianten, auf denen Eiskristalle lagen, auf die überfüllten Läden mit den Codices und Inkunabeln, auf die Schriftrollen überall. »Teufelszeug«, flüsterte sein Adjutor. »Teufelszeug, ja«, schnaufte Oxenstierna, »verfluchte Verheißungen, die uns an die Wand nageln.« »Ans Kreuz«, flüsterte der Adjutor, »ans Kreuz, denn das geschieht uns allen.« »Aber das hier muss fort! Fort, versteht Ihr! Dieser Spuk mit der Prophezeiung muss beendet werden. Suche die verfluchte Menschenhaut mit dem Omen. Das wenigstens muss verschwinden. Am besten aber alles hier. Ich will leere Räume. Leere Räume. Ich will den Tod sehen. Ich will keine Bücher in meinem Kloster Eberbach sehen, die irgendetwas verheißen! Nur den Tod!«
    Als alle Bücher der Galerie endlich auf dem Boden lagen, sah er das, was er gesucht hatte. Seine Soldaten kamen und schaufelten das nutzlose, bedruckte Zeug in Weinfässer und Körbe, um es zu verbrennen, zu verhökern, im Rhein zu versenken, den Feinden ins Maul zu stopfen. Sein schlauer Adjutor zog den

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