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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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in Schwindel erregende Höhen führten, verführen. So entstanden die Gedichtzeilen in seinem Kopf. Er hörte die Stimme seines Großvaters.
    Und diese Treppen auf sich winden, bis sie in einem Saal verschwinden, dem sieben Kammern sich verbinden.
    Die Männer oben an der Pforte verschwanden jetzt. Martin wäre aufgesprungen, um ihnen zu folgen, hätte er nicht die beruhigende Hand des Großvaters auf seinem Arm gespürt. Die Musik donnerte weiter mit Posaunen, sie schien immer schneller zu werden. Dann ertönten wieder die hämmernden vier Klänge. Pause. Vier donnernde Töne. Ein Überfall an Klängen.
    Im Saal auf siebenfachen Thronen, sitzt Lorelay mit sieben Kronen, rings ihre sieben Töchter wohnen. Frau Lorelay, die Zauberinne, ist schönen Leibs und kluger Sinne, hoch hebt sich ihres Schlosses Zinne.
    So spricht doch eigentlich keiner, dachte Martin. Warum hatte Großvater ihm gerade dieses Märchen vorgelesen? Er hatte ihm etwas sagen wollen. Es ging um ein Geheimnis. Martin liebte Geheimnisse über alles. Er wollte eigentlich nichts anderes hören, er wollte darin leben. Aber in der Schule waren Geheimnisse verboten, dort ging es um Zahlen, Kriege und das Auswendiglernen der europäischen Hauptstädte, und jetzt bauten sie in der Stadt Berlin diesen Wall, über den niemand klettern konnte. Warum machten Erwachsene so was? Sicher, um Kinder zu ärgern, die keine geschlossenen Türen mochten. Großvater hatte nur die Schultern gezuckt. Sie machen es, weil sie nicht tanzen können, dachte Martin. Und nicht lachen.
    In seinem Kopf rumorte es immer lauter. Sie ist die Hüterin vom Hort. Sie lauscht und horchet immer fort. Und   … singt ein Schiffer einen Schrei, so ruft die Töchter sie herbei. Und siebenfach schallt das Geschrei, zum Zeichen, dass sie wachsam sei.
    Vater hatte versprochen, nach dem Konzert den Berg zu besuchen, wo diese seltsame Frau noch heute wohnte, wie Großvater behauptete. Gleich nach der Musik würden sie aufbrechen. Ein richtiger Ausflug. War es dann überhaupt noch hell genug?
    Man würde schon sehen!
    Martin schaute nach links, die Männer an der Pforte waren wieder da. Jetzt begriff er, wie ungeduldig sie warteten. Spielt schneller, schienen sie hinunterzurufen. Martin lachte innerlich. Er stellte sich das Gedudel vor, das folgen würde. Alles hat seine Zeit, würde Großvater sagen. Alles muss zu seinem Ende kommen.
    Dann war es so weit, die Musik hörte auf. Martin begann begeistert zu klatschen. Aber der Vater drehte ihm das Ohr um. Großvater schickte einen Schwall Balsam Acht herüber und griente: »Es ist doch nur der erste Satz gewesen, es kommen noch drei.«
    Martin taten jetzt beide Ohren weh, wahrscheinlich waren sie knallrot, das kannte er schon. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Vielleicht würden ihm noch die anderen Zeilen einfallen. Oder das ganze Märchen. Er nahm die Lippen seines Mundes zwischen Daumen und Zeigefinger seiner beiden Hände, um nicht herauszuplatzen. Er versuchte, sich die einsame Frau hoch oben auf ihrem Berg vorzustellen. Aber das gelang ihm nicht.

    Rosenthal vergoss den Kaffee, nur ein paar Tropfen, aber sie genügten, um ihn laut fluchen zu lassen. Er hatte die Tasse schief gehalten, im letzten Moment merkte er, dass er sie überhaupt hielt, als er auf seine neue Junghans blicken wollte, die er seit zwei Tagen besaß. Manche Angewohnheiten müssen erst durch alle Gehirnwindungen gekrochen sein, vor allem bei Menschen, die festen Gewohnheiten gehorchten.
    Rosenthal überlegte, ob er die Tropfen auf seinem Handrücken ablecken sollte. Dann besann er sich und wischte sie mit dem Ärmel weg. Vorher stellte er lieber die Tasse ab.
    Der Raum war voller Menschen. Es war stickig und zu dunkel. Zwei Deckenlampen waren defekt, und am Freitagabend waren im gesamten Rheingau bis runter nach Eltville, bis rauf nach Lorsch keine Handwerker zu bekommen. Rosenthal gab seiner klugen Sekretärin ein Zeichen und die schaltete auch noch die Stehlampen mit dezent geblümten Lampenschirmen aus Trevira ein.
    Rosenthal hätte gern seine beiden Kinder dabeigehabt, und vielleicht auch seine Frau. Er litt unter der Einsamkeit in den Büros. Obwohl, Einsamkeit war vielleicht nicht das richtige Wort. Es ging eher um menschliche Wärme. Die Kollegen empfanden sich nicht als Teil einer Gemeinschaft, die an einer großartigen Sache arbeitete. Rosenthal rückte den Stuhl zurecht und nahm Platz. Es herrschte Hauen und Stechen im Kloster Eberbach. Vor allem seit die

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