Die verzauberten Frauen
Uniformen, in Nadelstreifenanzügen. Also bestimmen sie auch die Regeln. Und das soll sich nicht ändern.«
»Ich kann Ihnen folgen, Breitenbach. Sie meinen, wir sind in der Hand von Eliten, die glauben, mit uns machen zu können, was sie wollen.«
»Und, stimmt das nicht?«
»Aber die wirkliche Frage ist doch, gibt es eine Prophezeiung, die über unseren Köpfen schwebt, oder gibt es keine.«
»Nicht wahr?«, sagte Karen Breitenbach.
»Ich glaube, es gibt Prophezeiungen, aber kein Verhängnis. Oder anders gesagt: Es gibt kein göttliches Verhängnis, es gibt nur unbelehrbare Menschen.«
»Vermutlich ist es so.«
»Aber leider gibt es Überschneidungen«, räsonierte Velsmann weiter. »Ich denke gerade an Clemens von Brentano. Als Kind prophezeite ihm Goethes Mutter Aja: Dein Reich ist in den Wolken und nicht auf dieser Erde, und so oft es sich mit derselben berührt, wird es Tränen regnen. «
»Den Zusammenhang verstehe ich nicht.«
»Denken Sie darüber nach. Und darf ich Ihnen noch einen letzten Tipp geben? Misten Sie die Höhenburgen am Rhein aus.«
»Wie bitte?«
»Sehen Sie nach, wer da wohnt. In den intakten Burgen und in den Ruinen. Das könnte einige Überraschungen ergeben.«
»Mmh«, machte Breitenbach.
»Das war’s«, sagte Velsmann und kappte die Verbindung.
»Wer war das?«, stöhnte Tibor.
»Noch eine der verzauberten Frauen«, erwiderte Velsmann. Er starrte in die Dunkelheit.
»Was sind verzauberte Frauen?«, wollte Tibor wissen, der sich in seinem Sitz aufrichtete.
»Manchmal glaube ich, das sind alle die Wesen, die keine Männer sind. Aber das wäre wohl zu pathetisch. Und ungerecht gegenüber so netten Burschen, wie wir beide und Clemens von Brentano es sind.«
Tibor versuchte ein Lächeln. Es misslang ihm. »Aua!«
»Wir sind frei. Das müssen wir begreifen«, sagte Velsmann leise. »Wenn sie uns mit Omen und Mahnungen kommen, mit Verheißungen, Prophezeiungen, mit Apokalypse und Weltende, dann steckt immer ein Rechenfehler dahinter. Es ist niemals Bartholomäus. Es ist meistens nicht einmal de Rancé oder Porete. Es sind Schröder, Schulz und Krause. Wir müssen unser Leben leben.«
»Was anderes habe ich sowieso nie gedacht, Papa.«
»Schmeiß deinen Laptop in den Rhein, mein Sohn, versenke das Internet, wir ziehen Möhren«, sagte Velsmann grimmig und startete den Wagen.
»Fahren wir nach Hause?«
»Ja. Endlich. Ich werde dich noch mal verarzten.«
»Muss ich ins Krankenhaus?«
»Nein. Wir machen alles selbst.«
»Mama wird sich Sorgen machen.«
»Das gehört dazu«, sagte Velsmann. »So ist es nun mal. Wir werden ja sehen.«
Der Himmel über Wiesbaden war wolkenverhangen. Aber als Velsman die Konferenz verließ, riss die Decke auf und die Sonne kam strahlend hervor. Es war elf Minuten nach elf Uhr. Velsmann hatte genug gesehen und gehört. Aber die Medienmeute war hungrig geblieben. Hungrig wie eh und je. Er wusste, man würde sie mit dem füttern, was sie hören wollte, was sie verdauen konnte. Es würde in nichtssagende Einzelheiten zerfleddert werden. Der große Rest blieb ungesagt. Und unaufgeklärt.
Wie immer.
Das ist es, was von der Idee eines mystischen Verhängnisses bleibt, dachte Velsmann. Von einem urchristlichen Pergament. Es muss ins Format passen. Das ist es, was von einem tatsächlichen Kampf autoritärer Erzengeln und verzauberter Frauen bleibt, den es in unserer Geschichte immer gegeben hat. Das Kleinformat. Das, was man preisgibt. Das Wichtige bleibt versteckt. Und was wäre das, Herr Velsmann? Die Einflussnahme von fundamentalistischen Mächten in Geheimorden, Politik, Wirtschaftskomplex, Rüstung und Religion, die behaupten, im Besitz einer exklusiven Wahrheit zu sein, die sie aber nicht kommunizieren wollen. Hegel nannte das den Weltgeist . Eine Art ontologischer Polizei, aber aus ganz realen Interessen heraus, die uns andauernd droht und den Gang der Dinge mehr steuert als wir uns vorstellen können. Und dann gab es immer den Versuch einer Handvoll von Aufklärern quer durch die Geschichte dagegenzuhalten.
Oder wie soll ich das nennen.
Sie lassen uns über das im Unklaren, was sich über unseren Köpfen zusammenbraut. Sie wollen keine öffentliche Unruhe, sie wollen das Heft in der Hand behalten. Der Anschlag auf die Zwillingstürme in Manhattan hat mich stutzig gemacht, dachte Velsmann, er hätte natürlich verhindert werden können, wenn die Geheimdienste das gewollt hätten. Sie haben es nicht getan und ihrem Staat die folgende
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