Die vier Ziele des Lebens
unbedingt besser sein als das andere, wir haben alle unseren ganz eigenen Weg.
Geschichten von Beruf und Berufung
Die folgenden Geschichten führen uns beispielhaft verschiedene Formen des Umgangs mit Beruf und Berufung vor Augen. Ich habe die Namen und einige Umstände zur Wahrung der Privatsphäre geändert, aber es sind wahre Geschichten von realen Menschen – ein paar Schlaglichter auf die Vielfalt der verschlungenen Wege, die Menschen zu ihrem Beruf und ihrer Berufung führen können.
M egan Caldwell lernte ich am Oberlin College kennen, als ich dort die Damen- und Herren-Turmspringermannschaft trainierte. Selten habe ich Sportler kennengelernt, die ihren Sport so sehr liebten und so begeistert davon waren wie Megan, die sehr viel für die Verbesserung ihrer Sprungtechnik tat. Ich nahm eigentlich nur am Rande wahr, dass sie Mathematik und Physik als Hauptfächer studierte. In diesem Jahr gewann sie einen Titel im Sprung vom Dreimeterbrett.
Mein Leben trat dann in eine neue Phase ein, und ich verlor Megan aus den Augen, fast zwei Jahrzehnte lang. Sie machte sich inzwischen auf ihren Spezialgebieten Akustik und Elektronik einen Namen, promovierte an der Indiana University, arbeitete später an der Stanford University und war schließlich an einem Projekt zur Weiterentwicklung der Radartechnik beteiligt.
Für Megan hatte der Beruf immer ganz im Vordergrund gestanden, und ihre sportliche Berufung bestand abgesehen von gelegentlichen Übungsstunden in schönen Erinnerungen. 1997, da war sie schon Anfang vierzig und forschte an der University of Minnesota, stieß sie auf einen Anfängerkurs im Turmspringen und schrieb sich dafür ein. Der Trainer erkannte ihr Können und ihre gute Form und legte ihr bald nahe, an Wettbewerben in ihrer Altersklasse teilzunehmen. Das tat sie auch und gewann etliche nationale Titel und sogar eine Weltmeisterschaft.
Noch als Prof. Megan Caldwell, zutiefst ihrem Beruf verbunden, blieb sie ihrer Berufung, dem Turmspringen, treu. Bei einem heißen Abendessen an einem kalten Herbsttag in Berkeley, wo sie zeitweilig am mathematischen Institut tätig war, erfuhr ich, dass sie sich dreimal die Woche Zeit für die lange Bahn- und Busfahrt nach Stanford nahm, um zusammen mit anderen Springern zu trainieren – bei jedem Wetter. Sie war jetzt in der Altersgruppe 55 – 59, aber so in Form und so in ihren Sport verliebt
wie die junge Frau, die ich vor all den Jahren kennengelernt hatte.
Megan hatte ein reiches Leben, aber diesen Reichtum verdankte sie Jahren der Arbeit und bedingungslosem Einsatz. Beruf und Berufung lagen bei ihr sehr weit auseinander, und doch waren beide tief befriedigend.
Die folgende Geschichte hebt etwas ganz anderes hervor und erzählt, wie ein Spätentwickler seine Berufung fand, die dann in einer überraschenden Wendung sogar sein Beruf wurde.
K evin Kohler erkannte seine Berufung schon früh, aber es stand ihm nicht der Sinn danach, für Geld zu arbeiten. In der Highschool und auf dem College gab es eigentlich nur eins, was er gern tat, nämlich Frisbeespielen. Darin wurde er wirklich gut, aber sein Hobby ließ sich nicht leicht in etwas übersetzen, was ihm ein Einkommen versprach.
Seine Eltern fragten ihn immer dringlicher, ob es nicht an der Zeit sei, aus seinem Kinderzimmer auszuziehen und sich etwas Eigenes zu suchen – immerhin war er schon zweiunddreißig. Nach einer dieser Auseinandersetzungen stand Kevin einmal unter der Dusche, als ihm eine Idee kam. Schnell trocknete er sich ab und rief dann
gleich einen großen Frisbeehersteller an, wo er schließlich auch mit einem Entscheidungsträger in der Marketingabteilung verbunden wurde.
»Ich stelle mir Folgendes vor«, sagte er. »Ich stelle mir vor, dass Sie mir fünfhundert Frisbees schenken, auf denen ›Weltfrieden‹ steht, englisch und russisch, das heißt in kyrillischen Buchstaben. Außerdem zahlen Sie meinen Flug nach Moskau und bringen mich dort für einen Monat unter. Jetzt zu dem, was ich für Sie tue: Ich werde ein Frisbee-Botschafter des guten Willens sein. Sobald wir die Genehmigung haben, gehe ich jeden Tag auf den Roten Platz und bringe den Leuten das Frisbeespielen bei. Das eröffnet Ihnen einen neuen Markt, ist tolle Werbung und dient auch noch der Völkerverständigung.«
Das war in den Sechzigerjahren, also zur Zeit des Kalten Krieges. Die Frisbeefirma war einverstanden. Die Investition war nicht hoch, und vielleicht würde ja etwas dabei herauskommen. Kevin reiste
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