Die vier Ziele des Lebens
also in die damalige Sowjetunion, lernte Russisch – und aus einer Frisbee-Goodwilltour wurden etliche. Er heiratete sogar eine Russin.
Als er keine Arbeit fand, die ihm passte, suchte er sich jemanden, der ihn für das bezahlte, was er gern tat. So wurde aus seiner Berufung für einige Jahre ein Beruf.
Nicht vielen wird es gelingen, aus einer aufblitzenden Idee einen Beruf (und eine Berufung) zu zaubern, aber Kevins Leben zeigt, dass es möglich ist.
Eine weitere Facette wird an Stuart Anders’ Geschichte deutlich.
S tuart lernte ich kennen, als ich für eine Amtsdauer von vier Jahren leitender Turntrainer an der Stanford University war.
Mit großer Begeisterung und einem gewissen Sendungsbewusstsein stellte ich mich darauf ein, alles daranzusetzen, aus der damals eher schwachen Mannschaft ein Team von Spitzensportlern zu machen. Ich war zweiundzwanzig und traute mir einfach alles zu, wie das in dem Alter so ist. Im Jahr davor hatte ich als zweiter Kapitän der Turnermannschaft der University of California in Berkeley an den nationalen College-Meisterschaften teilgenommen, und entsprechend hoch waren meine Ansprüche und Erwartungen.
Am Tag vor meiner ersten Begegnung mit der Mannschaft nahm mich der Sportdirektor zur Seite und sagte: »Dan, es gibt hier einen Mann namens Stuart Anders, der hier aus reiner Liebhaberei seit zehn Jahren als Trainerassistent mitwirkt. Du kennst ihn natürlich nicht, aber er ist ein prima Kerl und bedingungslos zuverlässig. Er war nur für kurze Zeit aktiver Turner, aber er mag diesen Sport
einfach. Also, du musst natürlich selbst entscheiden, aber es wäre eine schöne Geste, wenn du ihn mitmachen und aushelfen lässt.«
Ich sagte, ich würde Stuart nur zu gern kennenlernen, und wir würden dann schon sehen, wie es läuft.
Stuart erwies sich als ein entspannter, umgänglicher Typ, den man einfach gernhaben musste, und er stand jeden Tag pünktlich bereit. Da wir ganz auf das Training konzentriert waren, kam es eigentlich nie zu längeren persönlichen Gesprächen. Aber alles sah danach aus, dass wir gut miteinander zurechtkommen würden.
Nach ein, zwei Monaten verspätete sich Stuart einmal um ungefähr eine Stunde. Er entschuldigte sich und sagte, er sei mit dem Flugzeug unterwegs gewesen, und da habe es Komplikationen gegeben, die das Ganze verzögert hatten.
Neugierig geworden und auch ein wenig überrascht, dass Stuart einen Flugschein besaß, fragte ich: »Warst du mit einer Cessna oder Piper Cub unterwegs?«
»Nein«, sagte er, »das war etwas Größeres, ein neuer Boeing-Typ, sie nennen ihn 747. Ich sollte den Gleitweg überprüfen.« Dann kam heraus, dass Stuart Luftfahrtingenieur und Testflieger bei der NASA war. Weiter erfuhr ich noch, dass sein Hobby die Restaurierung alter Porsches war und dass er daheim in seiner Garage am Prototyp eines Einmannjets arbeitete, den er Niete für Niete eigenhändig aufbaute.
Meine jugendliche Überheblichkeit verging mir recht schnell, als ich mir klarmachte, was es bedeutete, dass sich mein ehrenamtlicher Assistent für eine kleine Verspätung entschuldigte. Ich hatte Stuart bis dahin nur im Zusammenhang mit seiner Berufung gekannt, nämlich den jungen Männern einer kleinen Turnermannschaft bei der Feinabstimmung ihres Könnens zu helfen; dabei widmete er den größten Teil seines Tages einer anderen Berufung, die auch sein Beruf war und bei der er an vorderster Front der Luftfahrttechnik agierte.
Jetzt kommen wir zu einer Frau, die einen anderen Weg wählte. Sie folgte ihrem Herzen und dem Ruf zu dienen.
J ulia Marsala ist eine intelligente und fleißige Frau, die gern liest und sich informiert. Schon in der Schule hielt sie sich immer in der Nähe des Notendurchschnitts eins, aber es ging ihr wie vielen anderen geisteswissenschaftlich Interessierten: sie hatte kein klares Berufsziel vor Augen und wechselte mehrmals ihr Hauptfach. Sie war nicht karriereorientiert, legte aber große Einsatz- und Dienstbereitschaft an den Tag, und daraus sollte für sie die Berufung eines ganzen Lebens werden. Schon als Kind half sie jeden Tag nach der Schule in einem kleinen Supermarkt
aus, und während der Highschool- und Collegezeit hatte sie etliche Jobs, weil sie einfach Geld verdienen musste. Was sie jeweils tat, war ihr weniger wichtig als der Wunsch, einfach nützlich zu sein. Das befriedigte sie und gab ihr das Gefühl, etwas Wertvolles und Sinnvolles zu tun.
Nach dem Examen gab Julia als unbezahlte
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