Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
Freundes«, – diese weit ausholende Ansprache war immer noch ein Teil der Empfangszeremonie – »mit deiner Visitkarte hast du mir vorhin das Geschenk einer freudigen Überraschung gemacht. Und nun verschönt mir deine Gegenwart den Tag.«
    Gabriel wußte, was sich geziemte, und fand für seine Antwort die richtige Responsorienform:
    »Meine seligen Eltern haben mich sehr früh allein gelassen. In dir aber lebt mir ein lebendiger Zeuge ihres Andenkens und ihrer Zuneigung. Wie glücklich bin ich, in dir einen zweiten Vater zu besitzen.«
    »Ich bin in deiner Schuld.« Der Alte führte den Gast zu einem Diwan. »Du erweisest mir heute zum dritten Male die Ehre. Schon längst wäre ich verpflichtet gewesen, dir in deinem Hause meine Aufwartung zu machen. Aber du siehst, ich bin ein alter gebrechlicher Mann. Der Weg nach Yoghonoluk ist lang und schlecht. Auch steht mir eine große und dringende Reise bevor, für die ich meine Glieder schonen muß. Vergib mir also!«
    Damit war der Ritus des Empfanges zu Ende. Man ließ sich nieder. Ein kleiner Junge brachte Kaffee und Zigaretten. Der Hausherr trank und rauchte schweigend. Die Sitte befahl, daß der jüngere Besucher mit seinem Anliegen warten müsse, bis der alte Mann die Möglichkeit gebe, das Gespräch in die gewünschte Richtung zu lenken. Der Agha aber schien noch nicht gesonnen zu sein, aus seiner halbdunklen Welt in irgend eine Wirklichkeit dieses Tages zu tauchen. Er gab dem Diener ein Zeichen, worauf dieser seinem Herrn eine kleine Lederkassette überreichte, die er schon bereitgehalten hatte. Rifaat Bereket ließ sie aufspringen und streichelte mit seinen beseelten Greisenfingern über den Sammet, auf dem zwei uralte Münzen lagen, eine silberne und eine goldene:
    »Du bist ein sehr gelehrter Mann, der an der Universität von Paris studiert hat, ein Schriftenkenner und Schriftendeuter. Ich bin nur ein ungebildeter Liebhaber des Altertums, der sich mit dir nicht messen kann. Hier aber habe ich schon seit ein paar Tagen diese beiden Kleinigkeiten für dich vorbereitet. Die eine Münze, die silberne, hat vor tausend Jahren jener armenische König schlagen lassen, der einen ähnlichen Namen trug wie deine Familie: Aschot Bagratuni. Sie stammt aus der Gegend des Wan-Sees und man findet sie selten. Die andere, die goldene, ist hellenischen Ursprungs. Du kannst die schöne und tiefsinnige Inschrift auch ohne Vergrößerungsglas entziffern:
    ›Dem Unerklärlichen in uns und über uns.‹«
    Gabriel Bagradian erhob sich und nahm das Geschenk entgegen:
    »Du beschämst mich, mein Vater! Ich weiß gar nicht, wie ich mich dankbar erweisen soll. Wir waren immer stolz auf den Gleichklang in unserem Namen. Wie plastisch der Kopf ist! Und ein echtes Armeniergesicht. Die griechische Münze müßte man als Mahnung um den Hals tragen. Dem Unerklärlichen in uns und über uns! Was für philosophische Menschen müssen das gewesen sein, die mit solchen Geldstücken gezahlt haben. Wie tief sind wir gesunken!«
    Der Agha nickte, von solchem Konservativismus voll befriedigt: »Du hast recht. Wie tief sind wir gesunken!«
    Gabriel legte die Münzen auf den Sammet zurück. Doch es wäre unhöflich gewesen, allzuschnell das Thema des Geschenkes zu verlassen:
    »Ich würde dich innigst bitten, dir eine Gegengabe unter meinen Antiken auszuwählen. Aber ich weiß, daß es dir dein Glaube verbietet, ein Bildwerk aufzustellen, das einen Schatten wirft.«
    Bei diesem Punkt verweilte der Alte mit einem unleugbaren Behagen:
    »Ja, und gerade wegen dieses weisen Gesetzes mißachtet ihr Europäer unsern heiligen Koran. Liegt nicht in dem Verbot aller Bildnerei, die Schatten wirft, eine hohe Einsicht? Mit der Nachahmung des Schöpfers und der Schöpfung fängt jener rasende Hochmut des Menschen an, der zum Abgrund führt.«
    »Die Zeit und dieser Krieg scheinen dem Propheten und dir recht zu geben, Agha.«
    Die Brücke des Gespräches wölbte sich zu dem Alten hinüber. Er betrat sie:
    »Ja, so ist es! Der Mensch als frecher Nachäffer Gottes, als Techniker, verfällt dem Atheismus. Das ist der wahre Grund dieses Krieges, in welchen uns die Abendländer hineingerissen haben. Zu unserem Unheil. Denn was haben wir dabei zu gewinnen?«
    Bagradian prüfte den nächsten Schritt:
    »Und sie haben die Türkei mit ihrer gefährlichsten Seuche angesteckt, dem Völkerhaß.«
    Rifaat Bereket lehnte den Kopf ein wenig zurück. Seine zarten Finger spielten müde mit den Kugeln seines Bernsteinkranzes. Es

Weitere Kostenlose Bücher