1348 - Asche zu Asche
Es war wirklich toll, und jeder Zuschauer war ein Fan des Streifens.
Man freute sich, wenn der Vampir entkam, man litt, wenn er sich sein Blut holte, und man stellte sich später auf die Seite des alten Vampirjägers, wenn er den Blutsauger killte.
Zuvor hatte der Mann schon mehrere der Opfer auf seine typische Art und Weise erledigt. Jetzt war der Chef selbst an der Reihe, und da würde es noch einen harten Kampf geben.
Cindy saß gern in der ersten Reihe. So konnte sie die Beine ausstrecken und während der harten Szenen eine entspannte Haltung beibehalten. In den Sitzreihen hinter ihr war das nicht möglich. Da herrschte die große Enge vor, wie das in alten Kinos nun mal der Fall gewesen war.
Einen Fehler hatte der Platz. Sie musste den Kopf weit zurücklegen, um etwas sehen zu können. Rasiersitze hatte man früher dazu mal gesagt. Das alles gehörte zu diesem Kino, ebenso wie die Streifen in dem alten Film.
Es war die Zeit der Entscheidung. Die Zuschauer hielten den Atem an, auch wenn sie den Film schon mehrmals gesehen hatten.
Sie machten sich einen Spaß daraus. Es würden schon genügend Kommentare folgen, wenn es in das echte Finale ging, doch zuvor herrschte eine gespannte Ruhe.
Der Vampir ahnte nichts von seinem herankommenden Verderben. Er wollte zurück in sein Grab, um der Sonne zu entwischen, die bald aufgehen würde. Am Horizont zeigte sich bereits ein blasser Streifen, der dann zum Ende des Films regelrecht explodieren würde.
Sein Versteck war kein einfaches Grab, sondern eine Gruft, die mit einer Steinplatte am Boden verschlossen war. Sie musste der Wiedergänger anheben, um hineingleiten zu können.
Es machte ihm nichts aus, den schweren Deckel in die Höhe zu hieven. Ein einzelner Mensch würde es kaum schaffen, aber als Vampir besaß er stärkere Kräfte.
Bisher hatte das auch immer geklappt. In seinem Fall allerdings ging nichts mehr. Jemand hatte den Ring entfernt, mit dessen Hilfe er die Steinplatte hätte anheben können.
Jetzt war nichts mehr da!
Der Blutsauger jaulte auf. Im Kino fingen einige Zuschauer an zu lachen.
Auf der Leinwand drehte sich der Vampir langsam um die eigene Achse, wobei er seine gebückte Haltung beibehielt. In Großaufnahme wurde sein bleiches Gesicht gezeigt, in dem nicht nur die beiden spitzen Zähne auffielen, sondern auch die blutunterlaufenen Augen.
Im Kino wurde wieder gelacht. Popkorntüten knisterten.
Aus der letzten Reihe meldete sich ein Zuschauer. »Jetzt hast du die Arschkarte gezogen…«
»Hau besser ab!«
»Los, mach die Fliege!«
»Dreh dich um. Dein Typ wird verlangt.«
Die Kommentare wechselten sich ab. Das gehörte dazu. Es war gewissermaßen die Begleitmusik. Auch Cindy Mora wäre es komisch vorgekommen, wenn es keine Kommentare gegeben hätte.
Der Vampir schien zu ahnen, dass sein letztes Stündlein bevorstand. Er richtete sich auf und schaute in die Runde. Noch schwebten die Schatten der Nacht über dem alten Friedhof, doch im Osten war der Streifen bereits heller geworden. Das sah der Vampir ebenfalls und duckte sich.
Für ihn wurde es Zeit. Wenn ihn die Strahlen der Sonne erreichten, würde er verfaulen. Er existierte bereits seit langen Jahrhunderten, und da blieb eben nur Asche zurück.
Sein Jäger kam unerbittlich näher. Er bewegte sich lautlos über den Friedhof hinweg. Er hatte es geschafft, hinter den Rücken des Blutsaugers zu gelangen und hinter einem Grabstein eine vorläufige Deckung gefunden.
Er wartete.
Sein Gesicht wurde in Großaufnahme gezeigt. Auch er sah wild aus. Lange Haare umrahmten ein zerfurchtes Gesicht. Die Augen »glühten« auf eine bestimmte Art und Weise. In Vorfreude auf seine Tat leckte er sich die Lippen.
»In fünf Minuten bist du Asche!«, rief ein weiblicher Fan und stieß die Faust in die Luft.
»Hol ihn dir!«
»Ich will aber, dass der Vampir gewinnt«, rief eine jämmerliche Stimme. »Das will ich.«
»Dann geh in einen anderen Film.«
»Nein.«
Ein kurzes Lachen einiger Zuschauer, bis jemand »Ruhe!« brüllte.
Die trat sofort ein.
Nicht auf der Leinwand. Da schien der Blutsauger seinen Verfolger zu wittern. Er stand noch immer auf der Grabplatte und stieß ein leises Knurren aus. Er schien etwas zu ahnen. Er hatte Verdacht geschöpft und drehte sich auf der Stelle.
Seinen Feind sah er nicht. Der hatte seine Deckung verlassen und schlich geduckt näher. Wieder schaffte er es, keinen Laut von sich zu geben. Altes Gesträuch und auch Bäume gaben ihm Schutz.
Seine Waffe
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