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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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spielen. Nie jedoch blieb er auf dem Weg, da er für seine turnerische Geschicklichkeit jede schwierige Kletter-Variante geflissentlich ausspähte. Oft war er weit voran, oft aber auch weit zurück, sodaß seine Stimme allen Anrufen nur schwach entgegnete. Dieses Zurückbleiben hatte einen guten Grund. Sato war es begreiflicherweise nicht erlaubt worden, an dem Ausflug teilzunehmen, obgleich sich Stephan dafür eingesetzt hatte. Man konnte zwar diesem scheuen und spitzen Wesen bisher keine Freveltat nachsagen, und doch stieß sie durch ihre »schmutzigen Augen« alles ab. Da Sato aber die einzig Gleichaltrige im Hause war, hielt Stephan aus einer Art Altersklassengefühl zu ihr. Auch jetzt wußte er, daß sie in ihrem eigentümlichen Schleich-Sinn die Gesellschaft verfolge. Darum wartete er sie von Zeit zu Zeit ab, um dann ein paar Schritte mit ihr gemeinsam zu gehen. Es fiel ihm dabei sehr schwer, mit Sato zu reden. Das Geschöpf antwortete eine Weile lang ganz brav und vernünftig. Dann aber packte es ein Koller und sinnlos-ekelerregende Laute drangen aus seinem Mund.
    Früher, als Gabriel angenommen, wurde der schöne Platz erreicht. Hier hatten unter Awakians Aufsicht Kristaphor, der Diener Mussak und ein Stallbursch gute Arbeit geleistet. Die Zelte standen bereits, fest in der Erde verankert. Über dem des Scheichs oder des Großvaters Awetis wehte sogar eine Fahne, auf der das altarmenische Wappen gestickt war, mit dem Ararat, der Arche und der aufschwebenden Taube im Mittelfeld.
    Dieses Zelt war auch wirklich ein Prachtgehäuse aus einer stolzen und glanzvollen Zeit. Acht Schritte maß es in der Länge, sieben in der Breite. Sein Gerüst bestand aus armdicken Stangen von edlem Holz, die Innenwände aus schönen Teppichen. Einen großen Fehler hatte es allerdings. Im Zeltraum verbreitete sich ein scharfer Geruch von Kampfer und Alter. Die Wände waren zusammengerollt und in großen Säcken eingenäht gewesen, die Verwalter Kristaphor von Zeit zu Zeit unter Hügeln von Kampfer und Insektenpulver begrub. Die beiden modernen Expeditionszelte, die Awetis der Jüngere vor einigen Jahren aus London nach Yoghonoluk gebracht hatte, fanden weit mehr Bewunderung, obgleich sie nur aus dem üblichen Zeltstoff verfertigt waren. Dafür aber enthielten sie alles, was sich der Scharfsinn eines erfahrenen Jägers und Weltmannes nur ausdenken kann. Awetis hatte ja auch, ehe ihn die fortschwelende Krankheit jäh niederwarf, eine Fahrt in fast noch unbetretenes Gebirgs- und Steppenland geplant, und zwar in Begleitung zweier englischer Freunde. In diesen Zelten war nichts vergessen. Zusammenklappbare Feldbetten, auf denen man durchaus nicht hart lag. Seidene Schlafsäcke, federleichte Tische und Stühle, die sich ineinanderschieben ließen. Kochgeschirr, Teegeschirr, Schüsseln und Teller, alles aus Aluminium. Waschbehälter und Badetubs von Gummi; und nicht zu vergessen die windsicheren Lampen für Petroleum- und Spirituslicht.
    Man ging daran, die Wohnstätten zu verteilen. Juliette lehnte das Scheichzelt ab und bezog mit Iskuhi eine der modernen Unterkünfte. Krikor und Gonzague bekamen das andere Expeditionszelt. Lehrer Oskanian erklärte aus dunklen Gründen und mit einem strengen Blick auf Juliette, er ziehe es vor, abseits der menschlichen Gemeinschaft die einsame Nacht mit sich selbst zu verbringen. Er warf bei dieser Erklärung den kraushaarigen Kopf ein wenig zurück, als erwarte er, daß einerseits ein allgemeiner Lobausbruch seinen mutig-stolzen Entschluß belohnen und andererseits eine gewogene Frauenstimme den Versuch machen werde, ihn umzustimmen. Juliette jedoch dachte weder an die Tiere des Waldes noch an die Deserteure, denen Oskanian sich auszusetzen gesonnen war. Und auch sonst wollte ihm niemand die einsame Zwiesprache mit seiner Seele streitig machen. Da wandte er sich mit höhnischer Hoheit ab und versank für den Rest des Abends in sein überlegenes Brüten, ohne den Entschluß, der so wenig verstanden worden war, zurücknehmen zu können. Gabriel, Stephan, Awakian und Schatakhian aber schlugen in dem Prachtquartier, von dem der Wimpel wehte, ihr Nachtlager auf.
    Bagradian nannte diesen Abend bei sich selbst die Generalprobe. Er verlief jedoch ohne jedes Ereignis, das diesen Namen gerechtfertigt hätte, wie hundert andere Veranstaltungen ähnlicher Art. Gar nichts Romantisches ereignete sich, es sei denn, daß der Koch Howhannes das Mahl auf einem offenen großen Feuer bereitete. Übrigens hatte Missak, der

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