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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Weisen mit argwöhnischen Blicken gemustert hatte.) Bis auf Frau Pastor Nokhudian, die sich im Hinblick auf ihren zarten, schwächlichen Harutiun vor einer so gesundheitschädlichen Ausschweifung entsetzte, schien nur noch Iskuhi mit der Partie nicht einverstanden zu sein. Kein Wunder! Sie hatte die unerbittliche Grausamkeit des freien Landes und des freien Himmels kennen gelernt. Was die anderen für ein Vergnügen erklärten, galt ihr als Lästerung. Ihr war zu Mute wie einer Hungernden, die übersättigte Menschen sieht, welche die Speisen zum Fenster hinauswerfen. Keine siebzig Meilen weit im Osten zogen die sterbenden Scharen über die Straße. Bagradians herzloses Spiel erbitterte sie. Von den Hintergründen dieses Spiels ahnte sie ja nichts:
    »Ich möchte zu Hause bleiben«, bat Iskuhi.
    Gabriel wandte sich ihr nicht ohne Schärfe zu:
    »Ausgeschlossen, Iskuhi! Ich halte Sie für keine Spielverderberin. Sie müssen mit Juliette in dem Scheichzelt wohnen.«
    Iskuhi sah aufs Tischtuch und kämpfte um Worte:
    »Ich habe … ich fürchte … Jede Nacht freue ich mich, daß ich in einem Hause schlafen darf.«
    Gabriel versuchte ihren Blick an sich zu ziehen:
    »Gerade mit Ihnen habe ich gerechnet.«
    Iskuhi hob den Kopf noch immer nicht und preßte die Lippen fest aufeinander. Bagradian zeigte sich wegen dieser Kleinigkeit sonderbar auffahrend:
    »Ich bestehe darauf, Iskuhi.«
    In ihrem Gesicht begann es schon zu zucken. Da winkte Juliette ihrem Mann, er möge Iskuhi in Ruhe lassen und weiter nicht beachten. Sie deutete ihm auch an, daß es ihr später gelingen werde, den Widerstand des Mädchens zu brechen. Dies aber erwies sich schwerer, als sie gedacht hatte. Sie versuchte es mit einer fraulichen Belehrung: Alle Männer seien im Grunde Kinder. Für eine Frau, die das Leben leiten und beherrschen wolle, tauge es am besten, die Kindereien der kleinen Männerwünsche womöglich zu erfüllen. Für nichts erweise sich dann ein echter Mann so dankbar und so lenksam. Um in den großen Lebensdingen seinen eigenen Willen zu behalten, könne man in den kleinen ruhig nachgeben. Diese Belehrung klang so, als richte sie Juliette an sich selbst, die Ehefrau. Was aber gingen denn Iskuhi die kleinen Männerwünsche Bagradians an? Sie sah verstört zur Seite:
    »Für mich sind das nicht kleine Dinge.«
    »Es kann doch recht hübsch werden. Einmal etwa anderes …«
    »Ich habe noch zuviel Erinnerungen an dieses andre.«
    »Dein Bruder, der Pastor, hat nichts dagegen gesagt …« Iskuhi atmete tief auf:
    »Ich bin nicht aus Eigensinn so …«
    Juliette aber schien sich schon abgefunden zu haben:
    »Wenn du zu Hause bleibst, gehe ich auch nicht mit. Ich habe keine Lust, das einzige weibliche Wesen unter so vielen Männern zu sein. Da bleib auch ich lieber hier.«
    Iskuhi umfaßte Juliette mit einem langen Blick:
    »Nein, unmöglich! Das können wir nicht! Wenn du es willst, so gehe ich eben mit. Es ist schon überwunden, dieses Gefühl. Für dich tu ichs gern.«
    Juliette sah plötzlich sehr müde aus:
    »Bis morgen nachmittag haben wir viel Zeit. Man kann sichs immer noch zehnmal überlegen.«
    Sie griff sich an die Stirn und verdeckte die Augen. Ein dumpfer Schwindel, als ob von Iskuhis Erinnerungen nun manche auf ihren eigenen Geist übergegriffen hätten:
    »Vielleicht hast du mit deinem Gefühl recht, Iskuhi! Wir leben alle so harmlos …«
     
    Man brach am nächsten Tag schon ziemlich früh auf. Um der Frauen willen wurde nicht der kürzere Aufstieg durch die Steineichenschlucht gewählt, sondern der bequeme, aber ziemlich lange Umweg über den Nordsattel. Um ihn zu erreichen, mußte man die Dörferstraße über Azir bis mittwegs nach Bitias eine halbe Meile weit zurücklegen. Der Musa Dagh erwies sich heute trotz seiner Abgründe, Felsbastionen, Wildnisse als eine wohlgesinnte Alpe, die sich den Bergsteigern von ihrer schönsten Seite zeigte. In der allgemeinen Munterkeit ging Iskuhis Schweigen unter. Doch auch sie schien sich nach und nach aufzuheitern. Gabriel Bagradian konnte bemerken, daß sein Sohn, seitdem er die Schule Lehrer Schatakhians besuchte, seine europäische Gesittung mit Sturzgeschwindigkeit einzubüßen begann. »Ich erkenne ihn kaum mehr«, hatte Juliette jüngst zu Gabriel gesagt. »Wir müssen sehr achtgeben. Er spricht bereits genau das armenische Steinklopfer-Französisch wie der famose Lehrer.« Stephan kannte den Damlajik schon fast so gut wie sein Vater. Er versuchte es auch, Führer zu

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