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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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zwölfmal,
Schlug, bis der Knochen brach.«
    »Noch einmal«, forderte Stephan. Iskuhi aber war zu einer Wiederholung nicht zu bewegen, denn Gabriel Bagradian hatte leise die Tür geöffnet und war ins Zimmer getreten.
     
    In diesen Tagen belebte sich das Haus Bagradian immer mehr. Zu jeder Mahlzeit fast kamen Gäste. Juliette und Gabriel waren zufrieden mit dieser Bewegung. Es fiel ihnen jetzt schwer, miteinander allein zu bleiben. Auch verging die Zeit viel schneller. Jeder abgelebte Tag war ein Sieg, denn er befestigte die Hoffnung, daß der Schatten des Drohenden mit ihm weitergerückt sei. Der Julimonat nahte. Wie lange konnte die Gefahr noch dauern? Gerüchte eines baldigen Friedensschlusses wurden laut. Der Friede aber war die Rettung. Auch Pastor Aram stellte sich nun regelmäßig als Gast ein. Howsannah, die sich noch immer nicht erholt hatte, bat ihn selbst darum, daß er sich um Iskuhi kümmere. Sie wußte ja, wie sehr Aram an das Leben mit der Schwester gewöhnt war und daß er unruhig wurde, wenn er Iskuhi ein paar Tage nicht sah. Doch außer Tomasian saßen noch andre häufig an Gabriels Tisch. Die Hauptgruppe bildeten Krikor und seine Trabanten. Auch der Hausgenosse des Apothekers, Gonzague Maris, befand sich darunter. Der junge Grieche war nicht allein wegen seines Klavierspiels sehr beliebt. Er besaß Augen für Schönheit und Eleganz. »Er bemerkte.« Gabriel Bagradian bemerkte nicht mehr oder nur selten. Juliettens Modekünste, die doch nur einen heimwärtsgewandten Zeitvertreib ohne Zweck bedeuteten, fanden in Gonzagues aufmerksamen Augen ein beifälliges Echo. Ohne leere Schmeicheleien sagte er immer ein treffendes Wort nicht nur über Juliettens Aussehen, sondern auch über ihre Erfindungen, mit denen sie Iskuhis Reize zur Geltung brachte. Er sprach dabei nicht als ein Betörter, sondern als Eingeweihter und Künstler, während er seine stumpf gegeneinander gestellten Brauen prüfend emporzog. So gewann durch Gonzagues höheres Verständnis die Werkstatt Juliettens über den Zeitvertreib hinaus einen anerkannten Wert. Sein Schönheitssinn erstreckte sich auch auf das eigene Äußere. Gonzague war gewiß ein armer Mann und hatte wahrscheinlich auch keine rosige Vergangenheit hinter sich. Doch von dieser sprach er nie. Er wich Fragen Juliettens hierüber aus, nicht etwa aus Geheimniskrämerei oder weil er etwas zu verbergen hatte, sondern weil er alles Gewesene mit einer verächtlichen Geste als nebensächlich abzutun schien. Trotz oder gerade wegen seiner beschränkten Mittel war er, wenn er ins Haus Bagradian kam, immer sehr gut gekleidet. Da er seine europäische Garderobe in absehbarer Zeit nicht erneuern konnte, behandelte er sie mit der peinlichsten Sorgfalt. Diese gute Haltung und Kleidung Gonzagues wirkte auf Juliette höchst angenehm, ohne daß sie sich darüber Rechenschaft gab. Weit weniger angenehm wirkte es aber auf die beiden Lehrer Schatakhian und Oskanian, deren Ehrgeiz und Nebenbuhlerneid es erweckte. Insbesondere Hrand Oskanian, der Knirps, wurde von eifersüchtiger Tollheit gepackt. Weder durch seine poetisch-kalligraphischen Pergamentblätter, noch durch sein erhaben tönendes Schweigen war es ihm gelungen, Madame Bagradians Aufmerksamkeit auf seinen verborgenen Rang und seine innere Würde zu lenken. Der eingebildete Mischling aber hatte diese Aufmerksamkeit durch eitles Geckentum sofort erobert. Oskanian entschloß sich, auf diesem Gebiet den ungleichen Kampf aufzunehmen. Er rannte zu dem Schneider, der vor einem halben Menschenalter zwei Jahre lang in London gewirkt hatte. An der Zimmerwand dieses englischen Meisters hingen die Schnittmuster und Modebilder untadeliger Lords aus jenem Zeitalter. Mit den Stoffen freilich sah es weit magerer aus. Nur ein dünnes graues Tuch von ehrwürdigem Alter war vorhanden, das kaum der Ehre eines Rockfutters würdig war. Desungeachtet wählte Oskanian unter den Vorbildern einen Lord aus, dessen langgestreckte Prachtgestalt von einem langen schwalbenschwänzigen Gehrock in grauer Farbe umstrafft war. Bei der Anprobe zeigte es sich, daß der graue Schwalbenschwanz dem Zwerge bis zu den Knöcheln reichte, was er aber trotz des Schneiders Bedenken nicht tadelte. Nach Fertigstellung des Werkes steckte Oskanian eine weiße Blüte ins Knopfloch, was er seinem Lord ebenfalls abgeguckt hatte. Leider vervollkommnete er sich auch aus freien Stücken, indem er in der Apotheke des Meisters Krikor einen starken Wohlgeruch erstand, von dem er eine gute

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