Die Violine des Teufels
sogar außerhalb des Auditorio zusammen Musik machten, in einer Jazzband, deren Namen er vergessen hatte; und schließlich – oder besser, vor allem anderen – wusste er nicht, wie diskret diese Frau, die ihn andererseits so stark anzog, in dieser Situation sein würde, in der Verschwiegenheit von entscheidender Bedeutung war. Keinesfalls durfte er zulassen, dass Elena den Tubaspieler mit irgendeiner Bemerkung warnte, so dass dieser womöglich flüchtete, ehe er auch nur vernommen werden konnte.
Doch Perdomo wollte die intelligente junge Frau auch nicht beleidigen, indem er behauptete, er frage aus reiner Neugier, daher beschloss er letztlich, die Karten auf den Tisch zu legen.
»Ich darf dir keine Informationen aus einer laufenden Ermittlung verraten, Elena, aber alles, was du mir im Zusammenhang mit dieser Sache erzählen kannst, könnte mir weiterhelfen.«
Elena lächelte, befriedigt darüber, dass sie Perdomos Absicht erraten hatte, und überdies erleichtert, weil sie jetzt wusste, woran sie war. Daher gab sie nun rückhaltlos Auskunft.
»Soweit ich weiß, benutzen von den Orchestermusikern nur Georgy und ich Hartmann. Manchmal proben wir bei ihm zu Hause, und da habe ich eines Tages den Flakon auf der Fensterbank in seinem Bad gesehen. Ich habe es ausprobiert und war begeistert. So bin ich darauf gekommen.«
Während dieser Unterhaltung hatte Gregorio, dem das alles nichts bedeutete und den es auch nicht im Geringsten zu interessieren schien, sich über die Fleischbällchen hergemacht, und zwar drei Mal so schnell wie seine Tischgenossen. Unter normalen Umständen hätte eine solche Gefräßigkeit dazu geführt, dass sein Vater ihn zur Ordnung rief, doch der Inspector war mit seiner Aufmerksamkeit bei dem Mann, der durch einen Glücksfall zu seinem Hauptverdächtigen geworden war, und bemerkte nicht einmal, wie gierig sein Sohn das Essen hinunterschlang.
»Was für ein Mensch ist dieser Georgy?«, fragte Perdomo. Elena hatte er als Verdächtige bereits wieder ausgeschlossen, als er sah, mit welcher Offenheit sie seine Fragen beantwortete.
»Er ist ein Besessener«, begann sie. »Ich meine das nicht in sexueller Hinsicht«, stellte sie klar, als sie Gregorio grinsen sah, »sondern was seine Arbeit angeht. Er ist ein Workaholic, wie man neuerdings sagt. Und dabei gelten wir Musiker doch als leichtlebiges Völkchen, vor allem Jazzmusiker. Georgy ist da das genaue Gegenteil: Seit ich ihn kenne – und ich kenne ihn jetzt zwei Jahre –, habe ich nicht erlebt, dass er sich auch nur einen Augenblick Müßiggang gegönnt hätte. Ich glaube, das liegt ihm im Blut, das haben ihm seine Vorfahren mitgegeben. Georgy ist ein Wolgadeutscher.«
»Ein Deutscher? Ich dachte, Roskopf wäre ein russischer Nachname.«
»Tja, er ist deutscher Abstammung, seine Familie stammte ursprünglich aus dem Großherzogtum Hessen. Kennst du die Geschichte der Wolgadeutschen nicht? Nun ja, ich kannte sie vorher auch nicht«, gab sie zu, als Perdomo den Kopf schüttelte, »bis Georgy selbst sie mir erzählt hat. Katharina die Große, die Deutsche war, ermunterte ihre Landsleute, sich in Russland niederzulassen, an der Wolga. Sie versprach ihnen das Blaue vom Himmel: freie Religionsausübung, Befreiung vom Militärdienst, vollständige Sprachfreiheit, ein eigenes Schulsystem und Selbstverwaltung – kurz gesagt, sie versprach ihnen, dass sie in ethnischer und rechtlicher Hinsicht weiter Deutsche bleiben durften, auch wenn sie sich in Russland niederließen.«
Gregorio, der lange vor den anderen mit dem Essen fertig war, fragte seinen Vater, ob er das Eis holen dürfe, aber der erwiderte, er müsse warten, bis alle fertig seien. Elena schlug sich auf Gregorios Seite, und schließlich willigte sein Vater ein – eher um Elena eine Freude zu machen, als weil er überzeugt gewesen wäre, dass dies pädagogisch sinnvoll war.
»Alles, was die Zarin den Wolgadeutschen versprochen hatte, wurde eingehalten«, fuhr Elena fort, »aber sie mussten sich auf die Landwirtschaft beschränken. Begreifst du? Unter diesen Deutschen waren sämtliche Berufe vertreten: Apotheker, Ärzte, Anwälte, Ingenieure, Lehrer, Schuhmacher, Schmiede, Bäcker – natürlich auch Bauern. Aber nur ein paar von ihnen konnten ihren Beruf weiter ausüben, und außerdem durften sie, als sie sich einmal da niedergelassen hatten, das Gebiet nicht mehr verlassen und mussten der Zarin Treue schwören. Die Wolgadeutschen kapierten plötzlich, dass sie nur leben würden,
Weitere Kostenlose Bücher