Die Violine des Teufels
um zu arbeiten! Viele Generationen lang sind die Alten gestorben, ohne auch nur einen Augenblick des Müßiggangs kennengelernt zu haben – wie es Georgy ja auch ergeht!«
Nachdem Gregorio sein Eis in Rekordgeschwindigkeit vertilgt hatte, bat er seinen Vater um Erlaubnis, in sein Zimmer gehen zu dürfen, doch der erinnerte ihn daran, dass der wichtigste Programmpunkt des Abends noch bevorstand: die Begutachtung der Geige. Der Junge holte das Instrument, und als er es Elena in die Hand gab, lachte sie laut auf.
»Totalschaden!«, urteilte sie amüsiert. »Was ist dieser Geige denn zugestoßen? Ist sie frontal mit einem Kontrabass kollidiert? Über eine Reparatur braucht ihr nicht einmal nachzudenken, das hätte keinen Sinn, vor allem bei einer so billigen Geige. Gregorio, wenn du magst, begleite ich dich gern selbst beim Kauf einer neuen Geige. Die Tschechen liefern im Augenblick wahre Wunderwerke für die Hälfte dessen, was die übrigen Geigenbauer verlangen.«
»Du hast einen aufgeweckten Sohn«, stellte Elena fest, sobald Gregorio sich mit den Überresten seiner Geige in sein Zimmer zurückgezogen hatte.
»Ja … zu aufgeweckt, denke ich manchmal«, bestätigte Perdomo. »Darf ich dir eine persönliche Frage stellen?«, fragte er dann und kehrte damit zum vorherigen Thema zurück, das ihm einfach keine Ruhe ließ. »War da mal was zwischen dir und Georgy?«
Elena schien sich über diese Frage zu amüsieren.
»Nein, und ich habe auch noch nie mitbekommen, dass er eine Freundin hätte! Er sagt immer, es sei sehr, sehr langweilig, dass man sich immer amüsieren muss. Allerdings habe ich den Verdacht, dass er deshalb so viel arbeitet, damit er eines Tages aufhören kann zu arbeiten, weil er weiß, dass er sich mit seinem Lebensstil die Gesundheit ruiniert. Neulich musste ich ihn zum Kardiologen begleiten. Die wollen jetzt alle möglichen Untersuchungen bei ihm durchführen.«
»Seit wann benutzt er dieses Parfüm?«
»Ich kenne ihn nur damit. Ich glaube, das ist wie ein Zeichen seiner Identität. Verstehst du? Ein deutsches Parfüm als Erinnerung daran, wo seine Wurzeln liegen, weil der Arme kein Gefühl mehr dafür hat, von wo er stammt.«
»Wie meinst du das?«
»Die Roskopfs sind zwar in Russland geblieben, aber sie sind nach Sankt Petersburg umgezogen, weil Georgys Vater Trompete spielte und Sankt Petersburg eine sehr musikalische Stadt ist. Hast du noch nie von dem Klavierzyklus Bilder einer Ausstellung gehört, von Mussorgski?«
»Kommt mir bekannt vor«, log Perdomo. »Warum?«
»Der ist einem anderen Wolgadeutschen gewidmet, der in Sankt Petersburg ansässig war: Wiktor Alexandrowitsch Hartmann. Er war ein russischer Architekt und Maler und eng mit Mussorgski befreundet. Es war seine Ausstellung, die dem Klavierzyklus den Titel gab.«
»Hartmann? Wie das Parfüm?«
»Klar. Der Name des Parfüms ist eine Hommage an den Maler.«
»Anders gesagt, du glaubst, Georgy benutzt ein Parfüm mit dem Namen eines Wolgadeutschen, weil es ihn daran erinnert, wer seine Vorfahren sind?«
»Georgy fühlt sich total desorientiert – seine Familie stammte aus Hessen, dann ließ sie sich in Saratow nieder, der bedeutendsten Stadt Südrusslands. Er selbst wurde in Sankt Petersburg geboren, hat die letzten zehn Jahre in Moskau verbracht und lebt jetzt in Spanien.«
Nach dem Abendessen begann Elena, die Teller abzuräumen, wogegen ihr Gastgeber heftig protestierte. Doch sie wollte nichts hören von Haushaltshilfen, die sich am nächsten Tag darum kümmern, und erklärte, sie fände es nicht schön, wenn die schmutzigen Teller auf dem Tisch stehen blieben. Also landeten sie schließlich beide in der Küche und befüllten die Spülmaschine.
»Georgy Roskopf ist also jetzt euer Hauptverdächtiger?«, fragte Elena unvermittelt. »Ich kenne ihn ziemlich gut, ich weiß, dass er nie jemandem etwas antun und schon gar keine Geige stehlen würde.«
»Tut mir leid, ich darf nicht mit Außenstehenden über Einzelheiten der Ermittlung sprechen«, entschuldigte sich Perdomo.
»Ah, aber ich habe dich nicht nach Einzelheiten gefragt«, stellte sie klar. »Ich frage dich nur, ob ihr auf dem richtigen Weg seid.«
Perdomo wusste nicht recht, was er antworten sollte. Ihm fiel es ja selbst schwer, zu glauben, dass Roskopf das Verbrechen begangen hatte, schon wegen des Tatorts: Wie hätte der Russe es anstellen sollen, sein Opfer an einen einsamen Ort im Auditorio zu locken, wo er ungestört handeln konnte? Wo war die
Weitere Kostenlose Bücher