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Die Violine des Teufels

Die Violine des Teufels

Titel: Die Violine des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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abzusetzen, den Rest anfügen, alles in einem Schwung.«
    Der Mann unterstrich seine Ausführungen, indem er den Buchstaben Sin mit dem Zeigefinger in die Luft schrieb. Das weißliche Licht des Sichtgeräts schuf eine unwirkliche Atmosphäre im Raum, und Perdomo fiel auf, dass der Kriminaltechniker beim Reden unaufhörlich nickte wie ein Delphin. Zudem blinzelte er so selten, dass seine Augen wie die eines Fisches wirkten. All das zusammengenommen erweckte den Eindruck, einem Fisch im Aquarium zuzusehen.
    »Unter dem Mikroskop war aber zu erkennen, dass die Buchstaben von links nach rechts geschrieben wurden, wie es ein Europäer täte«, schloss der Kriminaltechniker.
    Das Licht des Röntgenfilmbetrachters begann zu flackern, vermutlich infolge eines Wackelkontakts. Der Kriminaltechniker brachte das mit Hilfe eines kräftigen Schlags an die obere Kante in Ordnung.
    »Kann ich die Bilder von der mikroskopischen Untersuchung sehen?«, fragte Perdomo, der interessiert zur Kenntnis nahm, dass die Reparaturstrategie des Kriminaltechnikers ebenso wirkungsvoll war wie die Schläge, die sein Vater einst dem alten Schwarz-Weiß-Fernseher versetzt hatte, wenn das Bild nicht gut gewesen war. Der Kriminaltechniker reichte Perdomo mehrere großformatige Fotos, auf denen man die blutige Schrift im Detail sah.
    »Siehst du?«, fragte der Techniker. »Er hatte ja den Finger ins Blut des Opfers getaucht, und je weiter er mit dem Wort kam, desto weniger Tinte, also Blut, hatte er am Finger. Und der Strich wird von links nach rechts immer dünner, nicht umgekehrt.«
    »Mit anderen Worten: Der Mörder ist gar kein Araber!«, rief Perdomo verblüfft.
    »Ich persönlich meine, da wollte uns jemand ein X für ein U vormachen, damit wir glauben, der Mord sei das Werk fanatischer Islamisten.«
    »Aber der Mord war auch keine Affekthandlung, sondern eine eiskalt von einem schlauen kriminellen Verstand geplante Tat.«
    »So schlau nun auch wieder nicht. Der Mörder hat sich vertan, als er den Namen von links nach rechts schrieb.«
    »Das war aber sein einziger Fehler, denn ihr habt ja ansonsten keine weiteren Spuren gefunden: keine Haare, keine Fingerabdrücke, keine Faserspuren.«
    »Da irrst du dich, er hat sehr wohl eine verräterische Spur hinterlassen, und zwar durch die Art, wie er vorgegangen ist. Es gibt nur sehr wenige Menschen, die fähig sind, jemanden sauber mit dem Unterarm zu strangulieren«, sagte der Kriminaltechniker. Er schaltete das Deckenlicht ein und das Sichtgerät aus. »Ich habe mit dem Gerichtsmediziner gesprochen – das war, bevor du die Ermittlungen übernommen hast –, und der hat mir erzählt, dass ein unerfahrener Täter vermutlich versucht hätte, die Frau zu strangulieren, indem er mit der Hand frontal auf die Luftröhre gedrückt hätte. Das verursacht dem Opfer nicht nur schaurige Schmerzen, sondern es führt auch immer zu heftigem Widerstand, der oft mit Kehlkopfbruch oder Bruch des Zungenbeins endet. Dann hätten wir jetzt Haut- oder sogar Blutspuren des Mörders unter den Fingernägeln der Geigerin gefunden. Stattdessen hat der Täter sich aber dafür entschieden, den Unterarm einzusetzen, um die Halsschlagader und die Drosselvene abzudrücken, ohne die Luftzufuhr zu unterbrechen, was zuerst zu Blutleere im Gehirn und dann zum Tod führte.«
    »Sag mal, was meint der Gerichtsmediziner – kann man bei der Untersuchung der Leiche feststellen, ob der Mörder Links- oder Rechtshänder war?«
    »Nein, und auch nicht, ob Männlein oder Weiblein, denn für diese Art des Strangulierens braucht man relativ wenig Kraft. Damit du dir eine genauere Vorstellung machen kannst: Beim Strangulieren durch Unterbrechen der Luftzufuhr beträgt der Druck, den man auf die Luftröhre ausüben muss, über fünfzehn Kilo, während schon ein Druck von zwei Kilo ausreicht, um die Drosselvene abzudrücken, oder von fünf Kilo bei der Halsschlagader. Es besteht jedenfalls kein Zweifel daran, dass die Person, die du suchst, eine Kampfsportart beherrscht. Vielleicht hat der- oder diejenige auch schon einmal mit der gleichen Methode getötet.«

19
    A ls Perdomo nach seinem Besuch im Kriminallabor in sein neues Büro kam, erwartete ihn dort Subinspector Villanueva. Die beiden Männer hatten nach Perdomos Übernahme in die UDEV eine kurze, aber angespannte Unterredung geführt und seitdem kein Wort gewechselt. Villanueva war von mittlerer Statur, etwa fünfundvierzig Jahre alt und hatte dichtes, durch und durch silbergraues Haar. Er

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