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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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unterhalb von Montesecco lag ein unwirklich hellerSchein. Als züngelten Flammen aus der rissigen Erde. Als dampfe sie die Hitze wieder aus, die sie vierzehn Stunden lang versengt hatte. Verbranntes Gras, Gerstenstoppeln, Weizenfelder. Mit hängenden Köpfen standen halbstarke Sonnenblumenheere in Reih und Glied. Der Ginster war größtenteils verblüht, doch noch stachen schmutziggelbe Flecken hier und da aus Waldfetzen.
    Auf der Bergkuppe drückten sich die Häuser von Montesecco eng aneinander. Viele davon waren unbewohnt oder wurden nur sporadisch von denen genutzt, die Montesecco auf der Suche nach Arbeit verlassen hatten und in Mailand oder Turin, in Belgien, Deutschland oder den USA gelandet waren. 1959 hatte der Exodus begonnen, als die größte Schwefelmine Europas im nahen Cabernardi geschlossen wurde. Zuerst wanderten die Minenarbeiter ab, doch bald schlug die Krise auch auf Handwerker, Fuhrunternehmer und Bauern durch. Die drei Läden Monteseccos gingen einer nach dem anderen pleite, die Schule machte zu, und das einzige, was im Lauf der Jahre wuchs, war die Zahl der Gräber auf dem Friedhof, da man wenigstens zu Hause beerdigt sein wollte, wenn man schon sein Leben in der Fremde verbringen mußte. Doch noch wohnten siebenundzwanzig Menschen, die mit keinem anderen Ort in der Welt hätten tauschen wollen, ganzjährig in Montesecco.
    In der Mitte des Dorfs öffnete sich eine langgestreckte Piazza, die durch schmale Treppen und winklige Durchfahrten mit den paar Gassen verbunden war, über die sich die Häuser in die Augen blickten. Die Torre Civica an der Stirnseite der Piazza war niedriger als der Kirchturm von Santa Maria Assunta weiter oben. Vor dem Kirchenportal lag eine nach Osten vorspringende Piazzetta, die von einer hüfthohen Brüstung zum steil abfallenden Abhang hin begrenzt wurde. Bei klarem Wetter sah man von dort bis hin zum Monte Conero im Süden und fast bis nach Ravenna im Norden.
    Nicht nur wegen der Aussicht nannten die Bewohner von Montesecco die Piazzetta ihren Balkon. An diesem luftigen Platz war man zu Hause, hier schlug das Herz der Dorfgemeinschaft, hier traf man sich vor der einzigen Bar des Orts, einem unscheinbaren Häuschen mit abblätterndem rosa Putz, das sich an die Kapelle des heiligen Sebastian anlehnte.
    Durch unsichtbare Grenzlinien war der Balcone in zwei Bereiche unterteilt. Den Frauen standen die beiden Steinbänke am hinteren Ende und ein paar Quadratmeter direkt vor der Bar zu. Dort saß Milena Angiolini, eine blonde Schönheit, die auf jedem Laufsteg in Mailand oder Rom eine gute Figur gemacht hätte. Sie fächerte sich mit einem Plastikteller Luft zu und tuschelte mit der Barpächterin Marta Garzone. Deren beide Kinder jagten unter wildem Geschrei einen kleinen braunen Hund und trieben ihn an der Brüstung des Balcone in die Enge. In diesem Bereich, den die Männer für sich beanspruchten, standen ein paar klapprige Stühle um einen Tisch. Auf dessen Plastikoberfläche stellte Ivan Garzone eine Flasche Bianchello und ein Tablett mit einem Dutzend Gläser.
    »Und? Kommt er?« fragte Ivan Garzone.
    »Wer?« fragte Angelo Sgreccia zurück.
    »Wer wohl? Der Papst wahrscheinlich!«
    »Der Papst kommt nicht. Der ist zu alt, und er muß keusch bleiben«, sagte der alte Marcantoni. Er kicherte.
    »Also?« fragte Ivan zu Sgreccia hin. »Was erzählt Vannoni denn so?«
    »Laß ihn doch erst einmal mit seiner Tochter reden«, sagte Angelo Sgreccia.
    »Und wenn er mit Catia geredet hat? Kommt er dann?« fragte Ivan Garzone.
    »Er kommt nicht«, sagte Sgreccia. Er mußte es wissen. Als Kinder waren Vannoni und er unzertrennlich gewesen. Da hatte es keinen Tag gegeben, an dem sie sich nicht zusammen herumgetrieben und irgendwelche Streicheausgeheckt hatten. Der Lehrer in Pergola hatte die Spitznamen Kastor und Pollux aufgebracht, und bald wurden sie vom ganzen Dorf so genannt. Zwar war Vannoni schon als Jugendlicher auf Distanz gegangen und hatte Meinungen vertreten, die Sgreccia genausowenig wie alle anderen nachzuvollziehen vermochte, doch die gemeinsame Kindheit konnte er damit nicht vergessen machen. Daß sich Vannoni später mit seiner Gewalttat selbst aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen hatte, war eine andere Geschichte. Im Rückblick blieben Sgreccia und er für das ganze Dorf zwei nur zufällig aus unterschiedlichen Familien stammende Zwillinge. Allen erschien mehr als natürlich, daß Sgreccia später Vannonis Schwester Elena geheiratet hatte und somit zumindest

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