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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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also endlich gesagt haben.«
    »Hat er, aber leicht ist es ihm nicht gefallen.«
    »Dann brauchst du mich also nicht mehr.«
    »Aber ja doch, ich werde Euch immer lieben.«
    »Margaret, du hast ein großes Herz.«
    »Groß genug auch für Euch.«
    »Aber ich habe gute Kunde. Man hat mich unter die Seligen aufgenommen. Und eine sehr hübsche Unterkunft habe ich auch. Sie sagen, ich verdiene die Ehre nicht, aber sie sind es leid, daß du ihnen in den Ohren liegst. Danke, kleine Margaret.«
    »Ach, noch nicht so bald. Bleibt wenigstens bis zum Fest. Wir haben Musik, Gedichte und Lesungen. Das wird Euch gefallen.«
    »Ich habe bereits die Erlaubnis, solange zu bleiben. Du weißt, wie sehr ich einen Abend mit guter Unterhaltung immer genossen habe.« Master Kendalls Geist hatte sich jetzt ganz materialisiert, durchscheinend und in seinem langen Kaufmannsgewand.
    »Gut seht Ihr aus«, sagte Margaret. »Nicht so flüchtig wie Madame Belle-mere, nachdem sie das Wasser überquert hatte.«
    »Hat sie das tatsächlich geschafft? Dergleichen ist mir noch nie zu Ohren gekommen.« Kendall hatte den Kopf schief gelegt, und seine durchsichtigen Augen glänzten interessiert. Wenn das nicht eine gute Geschichte war.
    »Bleibt, bleibt, Master Kendall, und hört Euch an, was sich alles zugetragen hat. Keine Menschenseele will meine Seite der Geschichte hören. Alle sind augenblicklich schwer damit beschäftigt, sich ihre eigene Version auszudenken.«
    »Wenn ich mich recht entsinne, war das dein Dauerproblem. Wie auch immer, einer guten Geschichte kann ich einfach nicht widerstehen. Ich höre dir bis zum Ende zu.«
    »Und Ihr werdet mir erzählen, wie es den Mädchen ergangen ist – ich habe mir nämlich schrecklich Sorgen um sie gemacht.«
    »Natürlich. Aber Margaret, du weißt doch, daß du mich nicht auf ewig hierbehalten kannst. Ich muß emporsteigen, nun da mir der Himmel offensteht.«
    »Ich weiß. Ihr könntet doch bitten, daß man Euch zurückkommen läßt? Zu besonderen Anlässen? Vielleicht wenn Cecily und Alison heiraten?«
    »Die Bitte habe ich schon eingereicht.«
    Margaret war so eingehüllt in die stille Tröstlichkeit dieses Augenblicks und ihr Geist so damit beschäftigt, sich mit der geliebten Stimme zu unterhalten, daß sie den Aufruhr an der Haustür nicht hörte, nicht die lauten Stimmen und das Sporengeklirr, das in die Diele eindrang.
    »Und, wo ist ER?« dröhnte es durch die Wohnstubentür. Und ehe sie die Füße vom Schemel oder den Kleinen von der Brust nehmen konnte, bot sich ihr aus nächster Nähe ein unerwarteter Anblick. Der Schal hing ihm ganz schief; das weiße Bart- und Haupthaar umwehte ihn wie auf einer Darstellung von Jupiter inmitten von Gewitterwolken. Die buschigen Augenbrauen dräuten wie eh und je. Er trug seinen besten rotsamtenen Überrock, der nur für Hochzeiten, Taufen und für Besuche hoher Würdenträger hervorgeholt wurde. Mein Gott, er ist wieder gesund, dachte Margaret.
    »Herr Schwiegervater«, sagte sie und stand auf, um ihn zu begrüßen. An der Tür drängelten sich verschiedene Gestalten. Hugo. Ihr Mann. Sir William Beaufoy aus dem Gefolge des Herzogs. Sir John, ihr Nachbar auf dem Lande. Genau wie Gregory es vorausgeahnt hatte. Die endgültige Katastrophe.
    »Ist ER das?«
    »Ja, Herr Schwiegervater. Das ist Euer Großsohn.« Der Kleine, den man in einem wonnevollen Augenblick gestört hatte, blickte auf und musterte etwas gereizt die Quelle des Aufruhrs. Milch rann ihm übers Kinn.
    Der alte Sir Hubert sah auf einen Blick den eigentümlichen, schwanengleichen Flaum, der sich bereits kringelte, die wachsamen, alles erfassenden Äuglein und das weiße Rinnsal im Winkel des entschlossenen, kleines Mundes.
    »Sieht fast genauso aus wie sein Vater in dem Alter«, sagte er. Dann strich er um sie herum, so als wollte er sich Mutter und Kind aus allen Richtungen ansehen. »Sind seine Gliedmaßen gerade? Mit Verlaub, Madame, wickelt ihn aus.« Schweigend entfernte Margaret die Windeln und hielt dem alten Mann den Kleinen zur Musterung hin. Seine Augen wurden schmal, er betrachtete den kleinen Leib von Kopf bis Fuß wie ein zum Verkauf angebotenes Pferd. Etwas an dem wirren, weißen Bart oder dem stechend blauen Blick störte den Kleinen. Er zuckte zusammen, seine winzigen Gliedmaßen streckten sich und zitterten, und seine Winzelfinger spreizten sich weit. Fast gleichzeitig lief er überall rot an und fing an zu brüllen. Irgendwie wirkte der Mund bei ihm in diesem Augenblick wie der

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