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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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ihrer Brüste, die das Hemd eben bedeckte. In aller Demut – die sie der Welt so überzeugend vorzuspielen wußte – war Juliana einer Todsünde verfallen: der maßlosen, selbstverliebten Eitelkeit.
    »Setz dich zu mir, liebe Schwester. Laß uns über den Abend reden, was wirst du tragen?« Ein beinahe tückischer Zug lag um ihren Mund, der den klaren Blick ihrer Augen Lügen strafte. »Ich hörte Vater sagen, der Freiherr Fritjof van Ypern wird unter den Gästen sein, er kam mit dem Gesandten, nur um dich in Augenschein zu nehmen. Lange hat Vater darum Verhandlungen geführt. Willst du ihm nicht gefallen? Der erste Eindruck entscheidet vieles.«
    Columba seufzte. Der immer wieder angekündigte Junker Fritjof, Graf und Freiherr eines kleinen Sprengels bei Brügge und im Besitz einiger Hafenrechte in Dordrecht, was sollte sie ihm groß gefallen? »Er wird mich ohnehin heiraten, der Mitgift wegen, so verschuldet wie er ist«, erwiderte sie trotzig. Und sie würde ihn heiraten, seines Titels und seiner Hafenrechte wegen, die dem Vater nützlich waren. Ja, sie würde ihn wohl heiraten. In einem halben, in einem Jahr vielleicht. Das war weit hin. Die Ehe, die Liebe – falls es sie gab, was Columba ernstlich bezweifelte –, all das hatte Zeit. Kein Grund, diesen Tag nicht zu nutzen, um durch die Gassen zu streifen, den Hafenkai beim Holzmarkt entlangzuschlendern und vielleicht eine ...
    »Schwester, was drückst du dich dort im dunklen Winkel bei der Tür herum, komm herein«, gurrte Juliana mit dem gefährlich freundlichen Unterton einer Spionin, die vor einer Entdeckung steht. »Sehe ich richtig? Du trägst einen Umhang? Wozu?«
    »Es ist kalt draußen«, gab Columba keck zurück.
    »Draußen? Was solltest du draußen wollen? Ohne Mertgin darfst du nirgends hin. Schon gar nicht nach dem Aufruhr, den du im letzten Sommer verursacht hast.«
    Columba wandte sich ab. Sie zögerte kurz. Das Fest, der Abend, die hohen Gäste, Verhandlungen – es würde Juliana nicht viel Zeit und Gelegenheit bleiben, sie beim Vater anzuzeigen. Und morgen? Morgen war ein anderer Tag und vielleicht Tauwetter, das alle Straßen und Pfade in unwegsamen Schlamm verwandeln würde. Beherzt schritt sie auf die Treppe zu.
    »Columba«, kam es nun schrill von Juliana, die vergessen hatte, ein Engel zu sein, denn es fehlte an Bewunderern. »Komm sofort zurück, ich darf nicht dulden, daß du unsere Familie zum Spott der Gasse machst! Eine van Geldern ohne Begleitung auf der Straße. In grober Bauernkutte! Du machst uns zum Refrain der Bänkelsänger. Gerade an diesem Tag! Die ganze Stadt blickt auf unser Haus. Die Spanier bei uns, noch dazu auf dem Weg nach Rom, und du in dieser Verkleidung. Was wird der Vater davon halten?«
    Die letzte Frage bedurfte keiner Antwort. Columba sprang dennoch die Stiegen hinab, mit jeder Stufe stieg ihr Mut. Hinter ihr riß Juliana – ein rächender Engel – den Gobelin zur Seite.
    »Willst du den Neidern unseres Vaters noch mehr Stoff für ihr Gerede geben, willst du die Schandmäuler nähren? Reicht es dir nicht, daß man dich für eine Freundin der Wiedertäufer hält, die in unserem Weingarten entdeckt wurden? Dein ganzes Wesen ist unziemlich. Im Gottesdienst tuschelt man über dich, ich höre alles.«
    Hörte sie auch, was man von ihrer Prunksucht sagte, von ihrer allzu heiligen Miene, von ihrem Hochmut, ihrer herablassenden Freundlichkeit, ihrer aufdringlichen Frömmigkeit und ihrem lockenden Lächeln für den jungen, gutaussehenden Diakon von St. Alban?
    Columba drehte sich um. Ihre Augen funkelten zornig. »Nun, Schwester, auch ich höre gut. Besonders nachts, wenn das Haus in Stille liegt und die Stiegen unter deinen Schritten federn. Ich höre oft, wie du dich fortstiehlst, durch unsere Kapelle in die Kirche von Sankt Alban. So wie in der letzten Nacht.«
    Sie haßte sich für diese Sätze, kaum daß sie sie ausgestoßen hatte. Sie haßte sich dafür, daß sie sich mit der Schwester gemein machte. Ihre Art war es sonst nicht, Geheimnisse zu verraten, und der Triumph, den sie nun damit erzielte, schmeckte schal.
    Juliana erbleichte unter der Weiße ihrer Haut wie der Tod. Ihr Kiefer spannte sich so stark, daß die Wangen blau und durchsichtig schimmerten. Die dunkle Zofe trat hinter sie, zog sie sanft flüsternd in das Zimmer zurück und schloß die Tür.
    Nachdenklich und ein wenig bedrückt trödelte Columba zum ersten Stockwerk des Hauses hinab. Dahin, wo sich die Hauskapelle, der Tanz- und Prunksaal,

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