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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Blatter
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kleines Bronzepferd hin und her. Es trug keinen Stempel ›Made in China‹. Vorsichtig stellte er es wieder zurück.
    »Setzen wir uns!« Gräber deutete auf eine Sitzecke, wo sich zwei abgeschabte Sessel und zwei hochlehnige Holzstühle abwartend gegenüberstanden. Auf einem niedrigen Tisch das Miniaturmodell eines römischen Kastells.
    Gräber wedelte mit kleinen, fleischigen Händen durch die Luft. Er war rein äußerlich das genaue Gegenteil seines ermordeten Widerparts. Kleingewachsen und kugelrund, mit cholerischer Gesichtsrötung, die sich in apoplektischen Schattierungen bis in den schütteren Haaransatz hinaufzog.
    »Sie entschuldigen meine Erregung«, meinte er kurzatmig, »aber das ist natürlich eine schreckliche Sache. So direkt in unserem Institut, mitten im Museum – wer weiß, vielleicht war es nur ein Zufall, dass der Mörder ihn erwischte. Ich komme auch manchmal am Wochenende hierher, um in Ruhe zu arbeiten. Wenn es der Zufall gewollt hätte, wäre vielleicht ich dran gewesen ...«
    Der Kommissar unterbrach den Redestrom, indem er ihm seine Visitenkarte zuschob.
    »Bloch mein Name. Kriminalhauptkommissar Erich Bloch. Mordkommission. Falls Ihnen später noch etwas Wichtiges einfallen sollte, was Sie jetzt, beim ersten Gespräch, vergessen haben.«
    Gräber musterte die Visitenkarte mit gerunzelter Stirn, griff in die Brusttasche seines gestärkten Hemdes und zog eine Lesebrille hervor. Er trug eine kleingemusterte rote Fliege und Hosenträger.
    »Bloch, Bloch – haben Sie etwa Verwandte in der Schweiz?« Klang da Misstrauen aus seiner Stimme? Was sollte diese Frage?
    »Nein.« Der Kommissar lächelte knapp. »Nicht, dass ich wüsste. Meine Familie kam tatsächlich ursprünglich aus der Schweiz. Aber das ist lange her.« Irgendein Onkel hatte Ahnenforschung betrieben, da war der Kommissar noch ein Kind gewesen. Die Blochs waren ursprünglich einmal eine reiche, katholische Kaufmannssippe gewesen. In den Wirren der Reformationszeit, als Zürich protestantisch-calvinistisch wurde, hatten sie sich ins Badische hinübergerettet. Vom geretteten Glauben war nicht allzu viel übrig geblieben. Von den Reichtümern auch nicht.
    »Bloch«, sinnierte Gräber. »Da gibt es nicht viele hier im Hegau und am Bodensee. Blocher, ja die gibt es. Aber Bloch – dieser Name ist eher selten. Kommt wahrscheinlich vom polnischen Wloch – das bedeutet Fremder. Kann gut sein, dass Ihre Vorfahren polnische Juden waren, die vor einem Pogrom flüchteten, konvertierten und in die Schweiz kamen. Leider hatten sie dann wieder den falschen Glauben.«
    »Richtig, und dann haben sie eben ›rübergemacht‹, rüber über die Grenze – alles schon mal da gewesen, die Geschichte wiederholt sich.« Der Kommissar hatte Respekt vor dem enzyklopädischen Wissen Gräbers, aber er wollte das Gespräch wieder zu den laufenden Ermittlungen zurückführen. Gräber hatte vollstes Verständnis.
    »Sie entschuldigen bitte. Diese Aufregung. Wie rücksichtslos von mir, dass ich Ihnen hier eine Privatvorlesung halte. Sie wollen sicher mehr über meinen Kollegen erfahren. Womit kann ich Ihnen helfen?«
    Er war ganz Liebenswürdigkeit. Vollkommene Zuvorkommenheit. Servilität. Ein harmloser, dicklicher, etwas wirrer, älterer Herr, der sicher unter zu hohem Blutdruck litt. Selten war der Kommissar jemandem begegnet, der so offensichtlich im wissenschaftlichen Elfenbeinturm saß wie Gräber. Der Mann lebte völlig in vergangenen Jahrhunderten.
    Zeugen konnte man konfrontieren oder provozieren, je nachdem. Noch häufiger jedoch musste man sie ganz einfach dort abholen, wo sie sich gerade befanden – das bedeutete, ihre Sprache zu treffen und einen Zugang zu ihren Emotionen zu finden. Diese Methode erschien Bloch bei Gräber als die vielversprechendste. Er schob ihm das Papier zu, welches er auf Hoffmanns Schreibtisch gefunden hatte. Gräber nahm es mit spitzen Fingern. Das Papier war an den Rändern blutverkrustet, einzelne Spritzer hatten sich fett auf den Text gesetzt. »Man kann es noch einigermaßen entziffern. Was sagen Sie dazu? Er hat es offenbar kurz vor seinem Tod noch gelesen.«
    Gräber las laut: »Ein Mägden von 19 Jahren von ziemlich müßiger Lebens-Art, bei welchem die Menses nicht expedite flossen, wenig Geblüt gaben und auch wol bis 14 Tage über die Zeit außen blieben, bekam seit einem halben Jahre den 3ten Paroxysmum von einem besonderem Spasmo pectoris convulsivo, welcher ihr die Brust auf solche Weise bewegete, dass sie

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