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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Blatter
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Vielleicht kam auch noch eine Anorexie dazu, die ihr dann den Rest gab. Eine Essstörung, ist ja modern heutzutage, wer weiß, vielleicht gab es das auch schon damals. Kurz und gut, die junge Frau ›schwand dahin‹, sie litt an Schwindsucht und starb kurz darauf. Von Eltern und Arzt ausgeblutet, verweigerte sie wahrscheinlich in einem letzten, trotzigen Aufbäumen die Nahrungsaufnahme. Tragisch.
    Gott sei Dank hat man heutzutage weniger brachiale Methoden, um die Krankheit Pubertät zu behandeln.«
    Hat man?, dachte der Kommissar. Hat man das wirklich?
    »Ein paar Jahre früher«, unterbrach Gräber seine Gedankengänge, »da wäre die Kleine bei solch einem müßigen Lebenswandel und mit ihren hysterischen Krämpfen sogar noch als Hexe verbrannt worden. Vergessen Sie nicht, ›Der Hexenhammer‹, dieses berüchtigte Handbuch der Inquisition, wurde in unserer Region geschrieben und der letzte Hexenprozess, sozusagen in unserer Nachbarschaft, in Ihrer alten Schweizer Heimat, Herr Kommissar, fand erst 1782 statt. Unglaublich, nicht wahr? – Und damit haben Sie auch die direkte Verbindung zur aktuellen Arbeit meines bedauernswerten Kollegen Andreas Hoffmann.«
    Die Vorlesung war fürs Erste beendet. Und obwohl der Kommissar sehr viel erfahren hatte, stand kaum etwas in seinem handlichen Notizbuch. Das einzig Wichtige war, dass es eine Beziehung zwischen dem schwer verständlichen Text und dem Toten gab. Viel klüger fühlte er sich allerdings nicht. Offenbar musste er bei der Befragung strukturierter vorgehen.
    Er nickte Gräber aufmunternd zu. »Es wäre mir doch sehr recht, wenn wir uns jetzt mehr auf die Person und die Arbeit des Ermordeten konzentrieren könnten. Soweit ich weiß, hatte er einige neuere Projekte, die waren – wie soll ich es sagen?«
    »Sensationell«, unterbrach ihn Gräber. »Sensationell wollten Sie wohl sagen.« Seine Gesichtsfarbe wurde um noch eine Nuance intensiver. Er sah nun ganz entschieden ungesund aus.
    »›Sensationelle Funde am Stadtrand von Konstanz‹, so stand es in der Zeitung. ›Bodensee-Ötzi gefunden‹. Sicher haben Sie es auch gelesen. ›Die Geschichte der Hexenverfolgung im Konstanzer Raum muss komplett umgeschrieben werden‹. So ein Unsinn! Das war doch alles vollkommen unseriös. Er wollte einfach ganz groß rauskommen. Möglichst schnell rein in die Talkshows, das wollte er. Nichts anderes.«
    »War es nicht eher so, dass Sie, lieber Herr Professor Gräber, in letzter Zeit doch eher, na ja, im Schatten des erfolgreicheren Kollegen gestanden sind?«
    »Was soll das jetzt heißen? Im Schatten gestanden ...« Gräber sprang auf, zwang sich aber offensichtlich zur Ruhe, verschränkte die Hände mit gekünstelter Gebärde hinter dem Rücken und schritt im Zimmer auf und ab. Der alte Parkettboden ächzte leise unter seinen Tritten.
    Der Kommissar wartete.
    Gräber drehte einige Runden. Danach hatte sein Gesicht wieder eine normale Färbung. Er blieb vor dem Kommissar stehen. Obwohl er immer noch von oben auf ihn herabredete, hatte sein Tonfall so gar nichts Dozierendes mehr an sich. Im Gegenteil, nun klang seine Stimme gepresst, fast kläglich.
    »Sie haben ja recht, Herr Bloch. Aber so direkt – wissen Sie – das schmerzt dann schon. So direkt hat es mir noch niemand gesagt.«
    Er öffnete sich.
    Es war kein Fehler gewesen, ihm so lange zuzuhören. Allmählich entstand so etwas wie eine Beziehung. Der Kommissar lächelte Gräber aufmunternd zu. »Wollen Sie sich nicht setzen?«
    Gräber seufzte. Ergeben. Er nahm Platz und seine rundliche, kleine Gestalt sank in sich zusammen. Er saß da wie ein an sich gehorsames Kind, das beim Naschen ertappt worden war. Fast erwartete der Kommissar, dass er mit den Beinen schlenkerte.
    »Den Wettlauf um die Gunst des Publikums, den hat Hoffmann sicher gewonnen«, begann Gräber zögernd. »Da gibt es nichts zu deuteln. Allerdings – seriös war das doch alles nicht. Ich hatte schon seit Jahren den Eindruck, dass es bei Hoffmann auf, nun ja, sagen wir es offen, dass es auf eine Art Wissenschaftsbetrug hinausläuft. Nur Beweise – Beweise hatte ich nicht. Aber diese Sache mit den Hexen und mit dem ›Bodensee-Ötzi‹ – das war wirklich der absolute Höhepunkt. Alles viel zu schnell in den Medien, alles viel zu laut. Viel zu sensationell. Irgendwie erscheint es mir logisch, dass es ihm diesmal das Genick gebrochen hat. Im übertragenen Sinne meine ich. – Wie ist er eigentlich zu Tode gekommen?«
    Der Kommissar

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