Die volle Wahrheit
bildeten eine weiße Schicht auf den Straßen. Fußgänger hielten sich an Mauern fest.
Trotz des Feuers in seinem Kopf holte William das Notizbuch hervor und schrieb: Hglkner grö als Golfblle? Er nahm sich vor, die Hagelkörner direkt mit einem Golfball zu vergleichen, nur für den Fall. Ein Teil von ihm verstand: Die Leser mochten in Bezug auf die Schuld von Politikern einen toleranten Standpunkt vertreten, aber Dinge wie die Größe des Wetters nahmen sie überaus ernst.
Auf der Messingbrücke verharrte er im Windschatten eines großen Nilpferds. Hagelkörner fielen auf die Oberfläche des Flusses und verursachten tausendfaches leises Saugen.
Der Zorn kühlte allmählich ab.
Während des größten Teils von Williams Leben war Lord de Worde eine ferne Gestalt gewesen, die aus dem Fenster des Arbeitszimmers blickte, eines Raums mit Hunderten von Büchern, die nie gelesen wurden. William stand bei diesen Gelegenheiten geduldig auf dem großen und teuren, aber abgelaufenen Teppich, während sein Vater lange Vorträge hielt. Sie bestanden fast ausschließlich aus Gehässigkeiten: die Meinungen eines Herrn Windling, mit besser klingenden Worten zum Ausdruck gebracht.
Das Schlimmste war, dass sich Lord de Worde nie irrte. Diese Position war in seiner Geographie nicht vorgesehen. Leute, die eine andere Meinung vertraten, waren verrückt, gefährlich oder vielleicht gar keine richtigen Leute. Mit Lord de Worde konnte man nicht diskutieren. Zumindest nicht im üblichen Sinn. Eine Diskussion bedeutete, verschiedene Standpunkte wenigstens rein theoretisch zuzulassen und zu versuchen, dem Gesprächspartner mit Vernunft die eigene Ansicht zu erläutern. Mit Williams Vater konnte man nur streiten, und das ziemlich gut.
Eiskaltes Wasser tropfte von der Nilpferdstatue und rann an Williams Nacken herab.
Der Tonfall und die Lautstärke, mit der Lord de Worde Worte benutzte, verwandelte sie fast in Fäuste, aber er hatte nie zum Mittel physischer Gewalt gegriffen.
Das überließ er anderen.
Ein weiterer Tropfen getauter Hagel traf William am Nacken. Sein Vater konnte doch nicht so dumm sein, oder?
Er fragte sich, ob er umkehren und alles der Wache übergeben sollte.
Aber ganz gleich, was man über Mumm sagte: Letztendlich hatte er nur eine Hand voll Männer und viele einflussreiche Feinde, deren Stammbäume Tausende von Jahren weit in die Vergangenheit reichten und die das gleiche Maß an Ehre offenbarten wie kämpfende Hunde.
Nein. Er gehörte zur Familie de Worde. Die Wache war für andere Leute bestimmt, die ihre Probleme nicht selbst lösen konnten. Und was konnte ihm schon passieren?
So viele Dinge, dachte William und setzte den Weg fort, dass es schwer sein würde zu entscheiden, was das Schlimmste war.
Myriaden Kerzen brannten in der Mitte des großen Raums. In den korrodierten Spiegeln an den Wänden sahen sie aus wie die Lichter eines Schwarms von Tiefseefischen.
William schritt an umgekippten Sesseln vorbei. Einer stand aufrecht, hinter den Kerzen.
Er blieb stehen.
»Ah… William«, sagte der Sessel. Dann entfaltete Lord de Worde langsam seine schlaksige Gestalt aus dem Leder, stand auf und trat ins Licht.
»Vater«, sagte William.
»Ich habe damit gerechnet, dass du hierher kommst. Auch deine Mutter mochte diesen Ort. Natürlich war damals alles… anders.«
William schwieg. Damals war tatsächlich alles anders gewesen.
»Ich glaube, der Unsinn sollte jetzt aufhören, findest du nicht?«, fragte Lord de Worde.
»Ich glaube, er hat bereits aufgehört, Vater.«
»Aber du meinst vermutlich nicht das, was ich meine«, sagte Lord de Worde.
»Eigentlich weiß ich gar nicht, was du meinst«, sagte William. »Ich möchte nur die Wahrheit von dir hören.«
Lord de Worde seufzte. »Die Wahrheit? Ich habe an das Wohl der Stadt gedacht. Das wirst du eines Tages verstehen. Vetinari ruiniert Ankh-Morpork.«
»Tja, an dieser Stelle wird’s schwierig«, entgegnete William. Es erstaunte ihn, dass seine Stimme noch immer nicht zitterte. »Ich meine, alle behaupten so etwas. ›Ich wollte nur das Beste‹ und ›Der Zweck heiligt die Mittel‹ – die gleichen Worte, jedes Mal.«
»Bist du nicht auch der Meinung, dass wir einen Regenten brauchen, der auf die Leute hört?«
»Vielleicht. An welche Leute dachtest du dabei?«
Lord de Wordes sanfter Gesichtsausdruck veränderte sich. Es überraschte William, dass die sanfte Miene so lange überlebt hatte. »Du willst in dem Schmutzblatt, in deiner Zeitung darüber
Weitere Kostenlose Bücher