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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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behalten, dachte Meleachim , während er der Straße zum Marktplatz folgte. Wenn ich Ruth und den Kindern davon erzähle, werden sie mich auslachen und mich einen alten Narren nennen. Zu Recht.
    Und er beschloss, die beiden Pilger und alles, was sie angeblich gesagt hatten, aus seinem Gedächtnis zu streichen.
    Am Westtor nichts Neues
    Rashid musste sich Mühe geben, wach zu bleiben. Ständig drohten seine Augen zuzufallen. Dabei war es gar nicht mehr so früh. Die Stunde des Morgengebets lag schon lange hinter ihnen. Er hatte in der Nacht gut geschlafen und ausreichend gefrühstückt. Es gab eigentlich keinen Grund, müde zu sein. Und doch hatte er Schwierigkeiten, das Gähnen zu unterdrücken .
    Er warf seinem Kameraden auf der anderen Seite des Stadttors einen verstohlenen Blick zu. Yussuf hatte sich gegen die Mauer gelehnt und die hohe Mütze so tief ins Gesicht gezogen, dass seine Augen vor neugierigen Blicken geschützt waren. Aber Rashid war sicher, dass Yussuf schlief.
    Er seufzte, trat auf das andere Bein und blinzelte gegen die Müdigkeit an. Es schien nichts zu helfen. Es gab Kameraden, die sich eigens für den Dienst am Westtor bewarben, weil es hier selten etwas für einen Soldaten zu tun gab. Rashid hingegen hasste es, untätig herumzustehen. Der Dienst am Tor ödete ihn an. Abgesehen von einigen Händlern und Bauern, die an diesem Morgen zum Markt in die Stadt wollten, war niemand hier vorbeigekommen, der die Aufmerksamkeit eines Janitscharen herausgefordert hätte. Niemand, seit er vor etwa zwei Stunden die Wache übernommen hatte. Und die Nacht war ebenso ruhig gewesen. Warum standen sie hier überhaupt ? Am Westtor geschah nie etwas, nie gab es etwas Neues, Aufsehenerregendes. Lieber hätte Rashid zehn Nächte hintereinander in den Straßen der Stadt patrouilliert, als einen Tag an diesem Tor zu stehen. In der Nacht mussten sie sich um Streithähne kümmern, die einander verprügelten, vom Wein berauschte Christen und Juden, die randalierten oder sich gegenseitig beschimpften. Manchmal erwischten sie sogar Diebe auf frischer Tat. Und selbst wenn die Nacht ruhig war, durften sie sich wenigstens bewegen. Aber hier am Tor? Hier stand man so lange regungslos herum, bis die Glieder eingeschlafen waren. Ebenso gut hätten sie die Äpfel im Garten des Statthalters bewachen können.
    Rashid trat wieder auf das andere Bein und versuchte sich wach zu halten, indem er in Gedanken noch einmal die Schachpartie von gestern wiederholte. Er hatte Yussuf in zwanzig Zügen geschlagen. Aber vielleicht wäre es auch schneller gegangen? Während er sich an jeden einzelnen Zug zu erinnern versuchte, erregte etwas anderes seine Aufmerksamkeit . Zwei Männer näherten sich dem Tor. Sie gingen zu Fuß. Beide waren in lange staubige Mäntel gehüllt und trugen Kapuzen auf den Köpfen. Der eine stützte sich beim Gehen auf einen langen Stab wie ein Hirte. Oder wie ein Greis.
    Pilger, dachte Rashid enttäuscht. Nichts als gewöhnliche Pilger.
    Er wusste selbst nicht, was er zu sehen gehofft hatte. Wilde Horden von Nomaden, die Jerusalem plündern wollten? Die hatte es nicht mehr gegeben, seit die Stadtmauer vom Sultan Suleiman dem Prächtigen, sein Name sei gesegnet, erneuert worden war. Pilger hingegen waren in Jerusalem so wenig außergewöhnlich wie Händler. Täglich kamen viele von ihnen in die Stadt – Christen, Juden und natürlich auch Moslems. Pilger wollten nichts weiter als die heiligen Stätten besuchen und beten. Pilger stellten keine Gefahr dar. Trotzdem beschloss Rashid, diese beiden etwas genauer zu betrachten, und sei es nur, um die Zeit bis zur Ablösung totzuschlagen.
    »He, ihr da!«, rief er sie an, als sie kaum mehr als zehn Schritte von ihm entfernt waren. »Bleibt stehen.«
    Beide Männer blieben gehorsam stehen, und Rashid winkte sie näher.
    »Kommt her.«
    Sie nahmen ihre Kapuzen vom Kopf, und Rashid konnte ihre Gesichter sehen. Der eine war jung und hatte dunkles, dichtes Haar. Der andere schien sehr viel älter zu sein. Sein Schädel war kahl, abgesehen von einigen kranzförmig wachsenden braunen Stoppeln. Doch bei genauerem Hinschauen bemerkte Rashid, dass sein Gesicht überraschend jugendlich war – faltenlos, als wäre er nur eine Hand voll Jahre älter als sein junger Begleiter.
    »Wer seid ihr?«
    »Wir sind Pilger, mein Sohn«, erwiderte der Glatzköpfige mit ruhiger Stimme und einem sanften Lächeln. »Wir sind weit gereist, um am Grab unseres Herrn Jesus Christus, den Sohn des lebendigen

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