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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Jeden Augenblick musste das verabredete Zeichen kommen.
    Rashid blinzelte. »Wieso …«
    »Mir kannst du nichts vormachen.«
    »Du kennst mich anscheinend besser als ich mich selbst«, sagte er mit einem zärtlichen Lächeln. Es war das erste Mal an diesem Tag, dass sie ihn lächeln sah.
    »Ich liebe dich schließlich auch.«
    Rashid zog sie an sich, und sie küssten sich leidenschaftlich. Und genau in diesem Augenblick steckte Saadi wieder seinen Kopf zu ihnen herein. Natürlich. Immer geschah alles zum falschen Zeitpunkt.
    »Es ist …« Er brach ab und räusperte sich, sein Gesicht war von Schamesröte überzogen.
    »Los, komm, Anne, es ist so weit«, sagte Rashid, ohne Saadi auch nur eines Blickes zu würdigen. Er griff nach einer Rolle Seil und der großen Ledertasche, in der sich Fackeln, Trinkwasser und Proviant befanden, hängte sich beides über die Schulter und sprang leichtfüßig aus der Sänfte. Dann half er Anne beim Aussteigen.
    Cosimo winkte ihnen zu. Anselmo hatte bereits die Luke im Boden geöffnet. Mit gemischten Gefühlen trat Anne zu ihnen und blickte in das finstere Loch hinab, dass sich zu ihren Füßen auftat wie der Schlund der Hölle. Wollte sie wirklich da hinunter? Sollte sie nicht doch lieber hier oben bleiben – bei Tageslicht und frischer Luft?
    »Lasst mich zuerst gehen«, sagte Rashid, und ohne eine Erwiderung abzuwarten ließ er sich in die Dunkelheit hinab. Anselmo folgte ihm, obwohl ihm deutlich anzusehen war, dass auch er in diesem Augenblick lieber an einem anderen Ort gewesen wäre. Anne zögerte immer noch. Doch dann sah sie wieder Giacomo vor sich, wie er mit ihrem neugeborenen Kind im Arm durch die Geheimtür des Palazzos der Pazzi verschwunden war. Wütend ballte sie die Fäuste. Dieser Mann sollte nicht ungestraft davonkommen. Hastig, bevor sie es sich doch wieder anders überlegte, kletterte sie die schmalen Stufen hinab. Cosimo kam hinter ihr her und schloss die Luke.
    Anne stand auf festem Boden, umgeben von schwärzester Finsternis. Jemand – sie vermutete, dass es Cosimo war – hatte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter gelegt, während Anselmo auf dem Boden herumkroch und unter wüsten Flüchen und Verwünschungen nach etwas zu suchen schien. Und wo war Rashid?
    »Wo sind nur diese verflixten Fackeln geblieben?«, hörte sie Anselmo murmeln. Dann gab es ein ohrenbetäubendes Gepolter . Es klang, als würde der ganze Stollen in sich zusammenbrechen . Und in einer Mischung aus Triumph und Schmerz schrie Anselmo auf.
    »Ich hab sie! Ich hab sie gefunden!«
    Im selben Augenblick wurde es hell. Rashid hielt eine brennende Fackel hoch. In ihrem zuckenden Schein sahen sie Anselmo , der mit finsterem Gesicht mitten in einem Bretterhaufen kniete.
    »Du hättest mir auch gleich sagen können, dass du Fackeln dabeihast«, fauchte er wütend, während er sich den Hinterkopf rieb. »Dann hätte ich mir das hier ersparen können.« Sein Haar war staubig und voller Spinnweben, und Holzspäne hing in seinen Locken. Mühsam rappelte er sich auf.
    »Du hast mich nicht danach gefragt, und ich dachte, du wusstest davon«, entgegnete Rashid und reichte Anselmo eine weitere Fackel. »Außerdem konnte ich schließlich nicht wissen , wonach du suchst.«
    Anselmo murmelte etwas auf Italienisch, und obwohl Anne nur einige Silben aufschnappte, war sie froh, dass Rashid ihn nicht verstehen konnte. Aber die Fackel nahm er trotzdem.
    Cosimo beugte sich zu Anne vor. »Anselmo leidet unter Klaustrophobie«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Dies hier muss für ihn schlimmer sein als alles andere auf der Welt.«
    Na wunderbar, dachte Anne. Hoffentlich hatte Anselmo sich auch wirklich alle Zeichen genau eingeprägt. Wenn man von ihr verlangt hätte, sich etwas zu merken, während große schwarze Spinnen über ihre Hände krabbelten, wäre daraus bestimmt nichts geworden.
    Rashid nahm noch ein paar Fackeln aus dem Versteck hinter den Brettern und verstaute sie in der großen Tasche. Nur für den Fall, dass sie doch mehr Zeit hier unten verbrachten, als sie beabsichtigten.
    »Salomons Steinbrüche«, sagte er und leuchtete die Decke und die Wände des niedrigen Stollens ab. »Natürlich wusste ich von diesen unterirdischen Gängen. Jedes Kind in Jerusalem kennt die Geschichten. Man erzählt sich, dass König Salomon hier die Steine für seine Bauten gewonnen haben soll – die Steine für den Tempel, für den Palast und viele andere Gebäude . Aber ich wusste nicht, dass man die Steinbrüche noch

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