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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Mittagszeit, als sie bereits in den beiden Sänften saßen, die Özdemir ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Der Statthalter selbst war mitgekommen und teilte sich eine Sänfte mit Cosimo und Anselmo, während Anne und Rashid gemeinsam mit Özdemirs Schwiegersohn Saadi in der anderen waren.
    Saadi und Rashid saßen einander gegenüber und sprachen kein Wort. Es herrschte zwischen den beiden eine Anspannung , die deutlich zu spüren war. Rashid ließ Saadi nicht aus den Augen, wie eine Katze auf der Jagd, während Saadi ständig versuchte, seinem lauernden Blick auszuweichen und ihn einfach zu ignorieren. Anne sah besorgt von einem zum anderen . Was würde wohl geschehen, wenn Saadi eine falsche Bewegung machte oder doch ein Wort sagte? Rashid machte den Eindruck, als wäre er durchaus imstande, dem Schwiegersohn des Statthalters an die Kehle zu gehen.
    »Was ist mit euch beiden?«, fragte Anne Rashid schließlich auf Deutsch. Sie wusste, dass es Saadi gegenüber, der die Sprache nicht verstand, unhöflich war, aber sie hielt die Spannung einfach nicht mehr aus. Die Sänfte war nicht besonders groß, und die Atmosphäre war so geladen, dass sie ein ständiges Kribbeln auf ihrer Haut spüren konnte, als würde sie mit feuchten Fingern eine Batterie berühren. Wahrscheinlich hätte ein winziger Funke bereits ausgereicht, und die Sänfte wäre einfach explodiert.
    »An dem Tag, als ich Özdemir von Ibrahims und Omars Verrat berichtet habe, hat er mich nicht zum Statthalter vorgelassen .« Rashid lächelte grimmig, ohne die Augen von Saadi abzuwenden. »Ich nehme an, er wollte seine Macht auskosten . Er wollte mir wohl zeigen, dass ein kleiner unbedeutender Janitschar nicht ohne sein Einverständnis mit dem Statthalter sprechen kann. Er hat mich mehrere Stunden vor Özdemirs Tür warten lassen.« Rashids Augen schleuderten Blitze, während Saadi unablässig zur Seite sah, als könnte er durch die Vorhänge der Sänfte hinausblicken wie durch ein Fenster. »Wenn er mich gleich vorgelassen hätte, hätten wir viel früher handeln können. Vielleicht wäre Yussuf dann jetzt noch am Leben.«
    Anne holte tief Luft. »Das ist schlimm«, sagte sie vorsichtig . »Ich kann verstehen, dass du wütend auf Saadi bist. Aber Yussuf kannst du dadurch auch nicht mehr zum Leben erwecken .«
    »Ich weiß. Ich würde auch nur gerne wissen, ob ihn nun, wo ihm klar sein muss, was er angerichtet hat, wenigstens sein Gewissen plagt.«
    Anne schloss die Augen und betete zu Gott, dass Saadi sich jetzt ruhig und besonnen verhielt. Rashid schien nur auf eine falsche Bewegung oder ein falsches Wort von ihm zu warten, damit sich sein Zorn endlich über dem Haupt jenes Mannes entladen konnte, den er für den Tod seines besten Freundes verantwortlich machte. Und je länger sie hier gemeinsam in der engen Sänfte zusammengepfercht waren, umso größer war die Gefahr, dass Saadi irgendetwas tat, das Rashid als Grund dienen konnte. Am gesündesten wäre es für Saadi, wenn er unsichtbar geworden wäre. Anne biss sich vor Nervosität auf die Lippe. Waren sie denn immer noch nicht am Ziel? Doch! Was war das? Vor ihnen polterte und krachte es laut, gefolgt von dem Geräusch von zersplitterndem Holz und mehreren schweren Gegenständen, die auf das Pflaster fielen. Dann erklangen laute Schreie und Verwünschungen, Ochsen muhten. Anscheinend waren sie überhaupt nicht einverstanden damit, was gerade mit ihren Karren geschah.
    Anne schob den Vorhang ein wenig zur Seite und spähte hinaus. Direkt neben ihr war die Stadtmauer, so dicht, dass sie nur den Arm hätte ausstrecken müssen, um sie zu berühren. Und ein Stück vor ihnen standen die beiden Ochsenkarren. Einer von ihnen war mitsamt seiner Ladung umgekippt. Die Säcke lagen kreuz und quer auf der Straße, und Linsen und Getreide ergossen sich über das Pflaster. Dabei waren die Wagen so ineinander verkeilt, dass man selbst zu Fuß keine Chance mehr hatte, an ihnen vorbeizukommen. Aus der Sänfte vor ihnen streckte gerade Özdemir seinen Kopf heraus, schüttelte seine Faust und rief etwas, für das Anne keine Arabischkenntnisse benötigte. Es klang nicht besonders freundlich. Auch Saadi schaute nach draußen und sprang dann hinaus. Er wirkte deutlich erleichtert.
    »Na, bist du jetzt enttäuscht?«, fragte Anne Rashid, als sie seine gerunzelte Stirn sah.
    »Enttäuscht? Warum?«
    »Weil Saadi dir keinen Grund gegeben hat, ihn zusammenzuschlagen «, antwortete Anne und machte sich bereit, auszusteigen .

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