Die Wächter von Jerusalem
sie kaum verstehen konnte.
Elisabeth knuffte sie, halb aufmunternd, halb wütend. »Rede, Esther!«
Die kleine Dienerin räusperte sich und startete einen neuen Versuch. »Junger Herr, in der Bibliothek …«
Anselmo zählte stumm bis zehn. Normalerweise sprach Cosimo mit Esther. Bei ihm hatte die Kleine keine Probleme. Doch sobald sie vor ihm, Anselmo, stand, schien sie die Sprache zu verlieren. Wenn er überhaupt jemals etwas von ihr erfahren wollte, musste er seine Ungeduld zügeln. Und das war schwer genug.
»In der Bibliothek, da …«
Sie brach wieder ab, knetete ihre Hände, und Anselmo schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Wenn sie sich schon nicht traute, mit ihm zu sprechen, hätte sie ihn wenigstens schlafen lassen können.
»Soll ich in die Bibliothek gehen und mir etwas ansehen?«, fragte er und versuchte seiner Stimme einen freundlichen und sanften Ton zu verleihen. Ob es ihm gelungen war, vermochte er nicht zu sagen, doch Esther sah ihn kurz an, um gleich darauf wieder den Blick zu senken. Sie war jetzt so rot im Gesicht , dass man Angst um ihr Leben bekommen konnte.
»Junger Herr, Ihr könnt dort nicht hin!«, sagte Elisabeth , und in ihrer Stimme schwang deutliche Empörung mit. »Dort … dort liegt jemand .«
Anselmo spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Ein Einbruch im Haus, Diebe in der Bibliothek, in der zum Teil unbezahlbare Bücher aufbewahrt wurden, ganz zu schweigen von dem Inhalt des Geheimfachs … Ihm schauderte. Das war wahrlich eine üble Angelegenheit. Noch dazu gerade jetzt, wo Cosimo nicht im Haus war.
»Ihr meint also, dass jemand in die Bibliothek eingebrochen ist?«
Die drei Dienstboten sahen einander ratlos an. Endlich begann Mahmud zu sprechen.
»Nein, junger Herr«, sagte er, und seine tiefe Stimme bebte, als wäre er erst wenige Augenblicke zuvor dem Teufel persönlich begegnet. »Das heißt, wir wissen es nicht. Aber es liegt … jemand mitten auf dem Teppich in der Bibliothek.«
Anselmo biss die Zähne zusammen. »Gut«, sagte er grimmig , »dann werde ich mir den Burschen mal näher ansehen.«
Er kehrte kurz in sein Schlafgemach zurück, um seinen Dolch zu holen. Es war zwar nur ein schlankes Messer mit einem Griff kaum eine Elle lang, doch es war scharf genug, um Haare zu spalten. Anselmo zog den Dolch aus seiner ledernen Scheide und betrachtete einen Moment lang die sanft geschwungene , kalt schimmernde Klinge in seiner Hand. Diese Araber konnten zwar keine schmackhaften Würste herstellen, aber davon verstanden sie etwas, das musste man ihnen lassen. Sie verstanden es, Waffen zu schmieden, die gleichermaßen schön wie gefährlich waren.
Anselmo warf die Scheide auf sein Bett und eilte mit langen Schritten zur Bibliothek. Warum passierten solche Sachen immer nur ihm? Warum lag nicht jemand in der Bibliothek, wenn Cosimo zu Hause war? Es war zum Verrücktwerden. Gerade hatte er die Tür der Bibliothek erreicht, als ihn die Köchin einholte.
»Junger Herr, Ihr könnt da nicht hinein!«, sagte sie und legte ihm ihre fleischige Hand auf den Arm. Die Hand war warm, weich und ein bisschen feucht, und Anselmo wurde sich bewusst, dass er nichts weiter am Leib trug als die Hose, in der er geschlafen hatte. »Junger Herr, da drin liegt eine Frau.«
Er starrte Elisabeth einen Augenblick an und fragte sich, ob er wohl richtig gehört hatte.
»Eine Frau?«
»Jawohl, junger Herr, und …«
»Kennt einer von euch diese Frau?«
Die anderen waren der Köchin gefolgt, und alle drei schüttelten ihre Köpfe.
»Und wie ist sie in unsere Bibliothek gekommen?«
»Das eben wissen wir nicht«, sagte die Köchin und senkte ihre Stimme. Auf ihren glühenden Wangen bildeten sich vor Empörung und Abscheu weiße Flecken.
Anselmo schüttelte den Kopf. Eine Frau in seinem Schlafzimmer – ganz gleich, ob bekleidet oder nicht – erregte bei den Dienern nicht einmal den Bruchteil des Aufsehens wie jene Frau, die aus irgendeinem Grund in der Bibliothek lag. Natürlich war dieser Vorfall merkwürdig, rätselhaft, unerklärlich, aber anstößig gewiss nicht. Er seufzte. In Florenz waren die Diener anders gewesen. In Florenz hätten sie ihn behutsam geweckt und ihm gesagt, dass eine fremde Frau in der Bibliothek seine Hilfe brauche. Empört wären sie dort gewesen, ihn mit einem Mädchen im Bett zu erwischen. Doch das schien hier wiederum normal zu sein. In Florenz …
Aber dies hier war nicht Florenz. Er war jetzt in Jerusalem. Und obwohl er sich täglich mindestens
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