Die Wälder von Albion
normalerweise hätte er nicht gewagt, Gaius so zu behandeln. Aber warum war er nur so aufgeregt?
»Du bist nicht der einzige in Deva, der sich zur Zeit betrinkt. Gestern abend war ich mit ein paar Legionären zusammen… Ihre Namen sind nicht wichtig, aber Flavius Marco war dabei. Den kennst du. Das Gespräch kam auf die Priesterinnen von Vernemeton. Einer sagte: ›Diese Frauen sind eigentlich keine richtigen Vestalinnen. Sie sind Frauen wie alle anderen auch.‹ Ich widersprach, aber schließlich kam es zu einer Wette. Sie wollen eine der jungen Priesterinnen entführen… «
Gaius sprang aus dem Wasser und rieb sich energisch mit dem Handtuch trocken. Sein Kopf schien zu bersten, und er verstand überhaupt nichts mehr.
»Komm mit in das Dampfbad«, sagte Valerius, »in der feuchten Hitze kannst du den Alkohol schneller ausschwitzen.«
Er half Gaius in den nächsten Raum. Als der heiße Dampf ihn traf, rang er nach Luft und glaubte zu ersticken. Der Sekretär erzählte weiter.
»Ich dachte zuerst, es sei nur Geschwätz am Wirtshaustisch gewesen und nichts, worüber man sich Gedanken machen muß. Aber heute morgen sind drei Männer nicht zum Appell erschienen. jemand, der gestern abend mit am Tisch gesessen hat, sagte mir später, die drei seien in aller Frühe nach Vernemeton aufgebrochen. Es ist ihnen wirklich ernst mit der Wette. Sie wollen eine Priesterin entführen und… «, Valerius hustete verlegen.
»Der Centurio… «, stieß Gaius keuchend hervor und rannte aus dem Dampfraum. Sein Magen revoltierte, und er mußte sich an einem Spuckbecken übergeben, aber danach konnte er wenigstens wieder klarer denken.
Valerius gab ihm etwas Kühles zu trinken und sagte: »Der Centurio hat alle Hände voll zu tun, und die Tribunen sind schon mehr als überfordert. Die Disziplin geht vor die Hunde, seit die Nachricht von der Ermordung des Kaisers eingetroffen ist. Deshalb habe ich mich auf die Suche nach dir gemacht. Außer deinem Vater kennt niemand die Britonen so gut wie du.«
Er hielt inne und sah Gaius besorgt an.
»Ich frage dich, was wird wohl geschehen, wenn man entdeckt, daß unsere Männer eine Priesterin vergewaltigen?«
Gaius stöhnte auf. Würde dieser Alptraum niemals enden?
Valerius seufzte. »Boudiccas Aufstand war nichts im Vergleich zu dem, worauf wir uns dann gefaßt machen dürfen, und wir sind zur Zeit kaum in der Lage, entsprechend zu reagieren.«
»Ja, natürlich… «, murmelte Gaius. »Ich mache mich sofort auf den Weg. Weißt du, wann die drei aufgebrochen sind? Oder hast du eine Vorstellung, auf welchem Weg sie dorthin wollen?«
»Keine Ahnung«, sagte Valerius. »Ich müßte mich noch einmal umhören… «
»Nein, dazu ist keine Zeit mehr. Ich muß nach Hause, ich brauche etwas anderes zum Anziehen… «
»Ich habe deine Sachen mitgebracht«, sagte Valerius. »Ich hatte mir gedacht, daß du dich gerne umziehen würdest… «
»Mein Vater hatte recht«, murmelte Gaius, »du denkst immer an alles.«
Er ließ sich von den Sklaven trockenreiben und rasieren. Dann zwang er sich, etwas zu essen.
Wie konnte ich nur so ein Narr sein? Ich versuche, meinen Kummer in Wein zu ertränken, während die Welt um mich herum vor die Hunde geht.
Irgendwann, als sein Verstand wieder die Oberhand gewann, war ihm eingefallen, daß an diesem oder am nächsten Tag Samhain sein mußte. Die Hälfte aller Stämme im Westen würde sich zu dem Fest auf dem Hügel von Vernemeton versammeln. Es war nicht mehr wichtig, was Eilan oder Senara von ihm hielten. Gaius dachte nur noch an die Gefahr, in der sie sich alle befanden, wenn es aufgrund einer dummen Wette betrunkener Legionäre zum Krieg kommen würde.
»Ich bringe deine Nichte nach Deva zurück… «, versprach er Valerius, als er sich auf den Weg machte.
Aber ich werde auch Eilan retten und Gawen. Wenn sie mich noch immer hassen, können sie mir das sagen, wenn wir alle in Sicherheit sind.
Er schlug den Mantel zurück, um die Arme frei zu haben, vergewisserte sich, daß sein Schwert wie immer an der Seite hing, und trieb seinen Hengst in Galopp.
All die Jahre, seit die Römer nach Albion gekommen waren… . nein… in all den Jahren, seit das große Heiligtum der Sonne gebaut worden war, konnte die Zeit der Vorbereitung auf das Ritual nicht so langsam vergangen sein wie diesmal für Eilan. Die diensthabenden Priesterinnen schwiegen, wie es von ihnen verlangt wurde, und ließen Eilan die meiste Zeit allein in dem Raum, in dem Lhiannon einst so
Weitere Kostenlose Bücher