ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Kokain # 1
Koks. Der Mann neben dir im Zug hat es erst heute Morgen wieder genommen, um wach zu werden, und der Fahrer des Busses, der dich nach Hause bringt, kokst auch, um in den langen Überstunden die Verspannungen im Nacken nicht zu spüren. Menschen, die dir nahestehen, koksen. Wenn nicht dein Vater, deine Mutter oder dein Bruder, dann dein Sohn, und wenn nicht dein Sohn, dann dein Chef im Büro. Oder seine Sekretärin, allerdings nur samstags, wenn sie ausgeht. Wenn dein Chef nicht kokst, dann seine Frau, um sich zu entspannen, oder seine Geliebte, der er Koks statt Ohrringen oder Diamanten schenkt. Und wenn nicht sie, dann der Lkw-Fahrer, der die Bars deiner Stadt mit Kaffee beliefert und ohne Koks die vielen Stunden auf der Autobahn gar nicht schaffen würde. Oder die Krankenschwester, die deinem Großvater den Katheter wechselt, denn mit Koks erscheint ihr alles einfacher, sogar die Nachtschicht. Oder der Maler, der das Zimmer deiner Freundin tüncht. Anfangs war es reine Neugier, jetzt hat er sich sogar verschuldet. Es koksen Menschen, mit denen du tagtäglich zu tun hast. Der Polizist, der dein Auto anhält, kokst schon seit Jahren. Inzwischen haben es alle gemerkt und schreiben seinen Vorgesetzten anonyme Briefe in der Hoffnung, dass er vom Dienst suspendiert wird, bevor er Mist baut. Der Chirurg kokst, der deine Tante operieren wird und der bis zu sechs Patienten am Tag schafft, wenn er eine Line gezogen hat, ebenso der Anwalt, den du in deiner Scheidungssache aufsuchen musst. Der Richter kokst, der in deiner Zivilsache das Urteil sprechen wird und Koksen nicht als Laster ansieht, sondern als eine Möglichkeit, genussreicher zu leben. Die Kassiererin kokst, die dir den Lottoschein aushändigt, der dein Schicksal wenden soll, und der Tischler, dem du für das neue Möbelstück ein Monatsgehalt hinblätterst. Wenn nicht er, dann der Monteur, der dir den Ikea-Schrank aufbaut, oder der Hausverwalter, der dich gerade über die Gegensprechanlage anklingelt.
Der Elektriker kokst, der die Steckdose in deinem Schlafzimmer verlegt, und der Liedermacher, den du zur Entspannung hörst. Der Pfarrer kokst, den du um die Firmung bittest, weil du Taufpate deines Neffen werden sollst, und der sich wundert, dass du dieses Sakrament noch nicht empfangen hast. Die Kellner koksen, die dich am Samstag bei der Hochzeitsfeier bedienen werden. Ohne Koks könnten sie sich nicht so viele Stunden auf den Beinen halten. Und wenn sie nicht koksen, dann der Kommunalreferent, der soeben den Beschluss über die neuen Fußgängerzonen gefasst hat. Den Stoff bekommt er gratis, als Dank für Gefälligkeiten. Der Parkwächter kokst, der nur noch Freude am Leben hat, wenn er eine Line zieht, ebenso der Architekt, der dein Ferienhaus umbaut, und der Postbote, der dir den Brief mit deiner neuen EC-Karte bringt. Wenn sie nicht koksen, dann die Frau vom Callcenter, die dich mit munterer Stimme fragt, wie sie dir helfen kann; ihre wohltemperierte Fröhlichkeit kommt von dem weißen Pulver. Und wenn nicht sie, dann der Assistent deines Professors, der dich gleich prüfen wird; das Koks hat ihn nervös gemacht. Der Physiotherapeut kokst, der dein Knie wieder in Ordnung bringen soll, aber von dem Zeug mitteilsam wird. Der Stürmer kokst, der ein Tor geschossen und dir damit kurz vor dem Schlusspfiff die Wette vermasselt hat. Und auch die Prostituierte, bei der du auf dem Heimweg vorbeigehst, um dich abzureagieren. Sie kokst, um nicht mehr zu sehen, wen sie vor sich, hinter, über und unter sich hat. Der Gigolo kokst, den du dir zu deinem fünfzigsten Geburtstag leistest. Ihr beide, du und er. Kokain gibt ihm das Gefühl, der Größte zu sein. Dein Sparringspartner kokst, mit dem du im Ring trainierst, weil du abnehmen willst, der Reitlehrer deiner Tochter und die Psychologin, zu der deine Frau geht. Der beste Freund deines Mannes kokst, der dir seit Jahren den Hof macht, aber er hat dir noch nie gefallen. Wenn nicht er, dann der Direktor deiner Schule. Der Hausmeister der Schule kokst auch, ebenso der Immobilienmakler, der sich ausgerechnet jetzt verspätet, wo du dir die Zeit für die Wohnungsbesichtigung abgerungen hast. Der Wachmann vom Sicherheitsdienst kokst, der immer noch ein Toupet trägt, obwohl sich längst alle den Schädel kahl rasieren, ebenso der Notar, zu dem du eigentlich nicht mehr gehen wolltest. Er möchte nicht an die Unterhaltszahlungen für die Frauen denken, die er verlassen hat. Der Taxifahrer kokst, der über den Verkehr
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