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Die Wahlverwandtschaften

Die Wahlverwandtschaften

Titel: Die Wahlverwandtschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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schone dich«, rief er hinzu, »schone dich!
    Denke an dich um deinet- und meinetwillen«.
    Sie dachte nun an sich und bemerkte jetzt erst den Zustand, in dem sie war.
    Sie konnte sich vor ihrem Liebling, ihrem Retter nicht schämen; aber sie entließ ihn gern, damit er für sich sorgen möge; denn noch war, was ihn umgab, naß und triefend.
    Die jungen Eheleute beredeten sich; er bot dem Jüngling und sie der Schönen das Hochzeitskleid an, das noch vollständig dahing, um ein Paar von Kopf zu Fuß und von innen heraus zu bekleiden.
    In kurzer Zeit waren die beiden Abenteurer nicht nur angezogen, sondern geputzt.
    Sie sahen allerliebst aus, staunten einander an, als sie zusammentraten, und fielen sich mit unmäßiger Leidenschaft, und doch halb lächelnd über die Vermummung, gewaltsam in die Arme.
    Die Kraft der Jugend und die Regsamkeit der Liebe stellten sie in wenigen Augenblicken völlig wieder her, und es fehlte nur die Musik, um sie zum Tanz aufzufordern.
    Sich vom Wasser zur Erde, vom Tode zum Leben, aus dem Familienkreise in eine Wildnis, aus der Verzweiflung zum Entzücken, aus der Gleichgültigkeit zur Neigung, zur Leidenschaft gefunden zu haben, alles in einem Augenblick der Kopf wäre nicht hinreichend, das zu fassen; er würde zerspringen oder sich verwirren.
    Hiebei muß das Herz das Beste tun, wenn eine solche Überraschung ertragen werden soll.
    Ganz verloren eins ins andere, konnten sie erst nach einiger Zeit an die Angst, an die Sorgen der Zurückgelassenen denken, und fast konnten sie selbst nicht ohne Angst, ohne Sorge daran denken, wie sie jenen wiederbegegnen wollten.
    »Sollen wir fliehen?
    Sollen wir uns verbergen?« sagte der Jüngling.
    »Wir wollen zusammenbleiben«, sagte sie, indem sie an seinem Hals hing.
    Der Landmann, der von ihnen die Geschichte des gestrandeten Schiffs vernommen hatte, eilte, ohne weiter zu fragen, nach dem Ufer.
    Das Fahrzeug kam glücklich einhergeschwommen; es war mit vieler Mühe losgebracht worden.
    Man fuhr aufs ungewisse fort, in Hoffnung, die Verlornen wiederzufinden.
    Als daher der Landmann mit Rufen und Winken die Schiffenden aufmerksam machte, an eine Stelle lief, wo ein vorteilhafter Landungsplatz sich zeigte, und mit Winken und Rufen nicht aufhörte, wandte sich das Schiff nach dem Ufer, und welch ein Schauspiel ward es, da sie landeten!
    Die Eltern der beiden Verlobten drängten sich zuerst ans Ufer; den liebenden Bräutigam hatte fast die Besinnung verlassen.
    Kaum hatten sie vernommen, daß die lieben Kinder gerettet seien, so traten diese in ihrer sonderbaren Verkleidung aus dem Busch hervor.
    Man erkannte sie nicht eher, als bis sie ganz herangetreten waren.
    »Wenn seh ich?« riefen die Mütter.
    »Was seh ich?« riefen die Väter.
    Die Geretteten warfen sich vor ihnen nieder.
    »Eure Kinder!« riefen sie aus, »ein Paar«.
    –»Verzeiht!« rief das Mädchen.
    »Gebt uns Euren Segen!« rief der Jüngling.
    »Gebt uns Euren Segen!« riefen beide, da alle Welt staunend verstummte.
    »Euren Segen!« ertönte es zum drittenmal, und wer hätte den versagen können!
    Der Erzählende machte eine Pause oder hatte vielmehr schon geendigt, als er bemerken mußte, daß Charlotte höchst bewegt sei; ja sie stand auf und verließ mit einer stummen Entschuldigung das Zimmer; denn die Geschichte war ihr bekannt.
    Diese Begebenheit hatte sich mit dem Hauptmann und einer Nachbarin wirklich zugetragen, zwar nicht ganz wie sie der Engländer erzählte, doch war sie in den Hauptzügen nicht entstellt, nur im einzelnen mehr ausgebildet und ausgeschmückt, wie es dergleichen Geschichten zu gehen pflegt, wenn sie erst durch den Mund der Menge und sodann durch die Phantasie eines geist- und geschmackreichen Erzählers durchgehen.
    Es bleibt zuletzt meist alles und nichts, wie es war.
    Ottilie folgte Charlotten, wie es die beiden Fremden selbst verlangten, und nun kam der Lord an die Reihe zu bemerken, daß vielleicht abermals ein Fehler begangen, etwas dem Hause Bekanntes oder gar Verwandtes erzählt worden.
    »Wir müssen uns hüten«, fuhr er fort, »daß wir nicht noch mehr Übles stiften.
    Für das viele Gute und Angenehme, das wir hier genossen, scheinen wir den Bewohnerinnen wenig Glück zu bringen; wir wollen uns auf eine schickliche Weise zu empfehlen suchen«.
    »Ich muß gestehen«, versetzte der Begleiter, »daß mich hier noch etwas anderes festhält, ohne dessen Aufklärung und nähere Kenntnis ich dieses Haus nicht gern verlassen möchte.
    Sie waren

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