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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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hat Schwierigkeiten, selbständig zu formulieren. Auswendiglernen ist kein Problem für ihn, er kann alle meine Lieblingsgedichte.«
    »Aber dann«, sagte ich, »als er jonglierte …«
    »Ja, ich hätte es ihm nicht erlauben dürfen. Aber er hat so sehr gebettelt, er ist so stolz darauf, ich konnte einfach nicht mehr widerstehen.« Sie seufzte. »Ich werde ihm beibringen müssen, daß er es nicht mehr darf, dann kann nichts passieren. Ich habe eine Lizenz – Tamara hat sie mir beschafft. Auch unverdächtige Papiere, den Wohnwagen – sie hat uns hierhergebracht.«
    »Weil Kasper nur deutsch spricht?«
    »Das auch. Vor allem aber ist es weit weg von dort.«
    Maud konnte nicht verraten, wo das Institut lag. Sie konnte mir kaum einen Hinweis geben, obwohl ich sie nach allen Regeln meiner Kunst ausfragte. Dem Klima nach irgendwo in der Nähe des Mittelmeeres. Seit nahezu alle Programme via Satellit übertragen werden, ist Fernsehen kein Kriterium mehr, Zeitschriften und Bücher konnte sie nach Belieben bestellen, ihre Fernstudien hatte sie sowohl an französischen wie deutschen Hochschulen betrieben, die Ärzte sprachen deutsch oder französisch mit ihr, ebenso das Personal, aber Maud glaubte, daß sich die Kellner und Hilfskräfte, soweit sie nicht aus Asien stammten, untereinander auf spanisch oder portugiesisch verständigten. Oder sizilianisch?
    Wir sprachen bis tief in die Nacht, nur einmal wurden wir unterbrochen, aus dem Wohnwagen rief es: »Mama, Mama!«
    Maud holte den Kasper, sie trug ihn die vier Stufen hinunter, dann setzte sie ihn auf die Wiese. Er hatte Beine, wenn sie auch babyhaft kurz waren, er tollte auf eine drollige Weise durch das hohe Gras, spielte mit einem mechanischen Hund, einer Puppe, mit Bällen und Reifen, stellte sich an einen Strauch und pinkelte ungeniert, pflückte Maud einen Blumenstrauß, legte ihn aber ein Stück vor uns ins Gras.
    »Er ist scheu«, erklärte Maud. »Kasper ist es ja nicht gewohnt, andere als mich in der Nähe zu haben.« Sie rief ihn. »Guck mal, Kasper, was Onkel Herb dir mitgebracht hat.«
    Kasper stürzte sich auf das Essen.
    »Er ist ein großes Leckermaul«, sagte Maud, und ich bereute, daß ich keine Schokolade gekauft hatte, kein Obst. Kasper wurde schnell müde; es war noch keine halbe Stunde vergangen, da verlangte er, wieder ins Bett gebracht zu werden.
    »Ich weiß nicht einmal, ob er mein leiblicher Sohn ist«, sagte Maud, als sie wiederkam. »Wahrscheinlich war es das Ei einer anderen, mir ist das egal, ich habe ihn geboren. Und ich wollte ihn behalten. Wenigstens eines von vierzig oder fünfzig Kindern. Ein Däumling, ja, aber kein Monster, nicht wahr?« Sie blickte mich ängstlich an.
    »Nein«, versicherte ich, »ein Junge zum Liebhaben.«
    Das war nicht gelogen. Ich hatte tatsächlich diese winzige, unschuldige, bedauernswerte, mißbrauchte Kreatur in mein Herz geschlossen.
     
    Vor drei Tagen ist Kasper gestorben, ich weiß nicht, woran. Gestern Maud. Still und friedlich. Es war, als erlösche ihr Leben, nun, da sie ihre Aufgabe erfüllt hatte. Ich habe beide in dem kleinen Park des Grundstücks begraben, das ich ihretwegen gekauft hatte, ein Grundstück, in das kein Fremder Einblick nehmen konnte, knapp eine Autostunde von den Studios entfernt. Das ist der wahre Grund, warum ich keine Beiträge mehr für FOKUS machte, mich mit der Rolle des Redaktionsleiters und Moderators zufriedengab. Ich mußte doch immer da sein für Maud, die letzte und, wie ich glaube, größte Liebe meines Lebens.
    Jetzt bin ich frei, dieser vielleicht letzten, aber sicher größten Story meines Lebens nachzugehen.
    Maud, so hatte ich gesagt, konnte mir keinen Hinweis darauf geben, wo die Monsterfabrik lag. Aber da waren die Bäume und Blumen, Vögel und Insekten, der Wechsel der Jahreszeiten, die Geschwindigkeit, mit der die Dämmerung hereinbrach … Dutzende von winzigen Spuren für einen geduldigen Reporter. Ich zeichnete die Gebiete, die in Frage kamen, auf einer Karte ein, und als sich eines Tages ein junger Mann bei mir bewarb, der um jeden Preis für FOKUS arbeiten wollte, schickte ich ihn los. Ich setzte ihn keiner Gefahr aus, ich wollte nur Landschaftsaufnahmen; eines Tages war es dann soweit: Maud erkannte eindeutig die Landschaft, die sie Tag für Tag aus den Fenstern ihres Appartements erblickt hatte, jene vier nicht allzu hohen Berge, die ihr immer wie zwei große M erschienen waren.
    Morgen früh mache ich mich auf den Weg. Deshalb habe ich heute diese

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