Die wahre Lehre - nach Mickymaus
er ist nützlich für Seancen, obwohl seine Wirkung nicht immer so spektakulär ist wie in ihrem Fall.«
Er hatte unter den Tisch gegriffen. Der vordere Schornstein kippte ins Wasser, versprühte Funken. Ein ohrenbetäubendes Krachen war zu hören, als er umstürzte, und dann die Schreie. Für einen längeren Augenblick ragte das Schiff fast senkrecht mit einem Ende gegen den Himmel auf, dann kippte es und begann anfangs langsam, dann immer schneller ins Wasser zu gleiten.
Sie durfte nicht zulassen, daß er das mit ihr tat. Er hatte vorher etwas darüber gesagt, daß Sie gebetet habe, als er sie umbrachte. Er glaubte, sie habe unter dem Tisch gekniet, um zu beten, aber das stimmte nicht. Sie suchte Caroline.
Er drehte das Geräusch ab. »Der Frequenzbereich ist, wie gesagt, sehr beschränkt, und der Bordfunker auf der Californian machte um Mitternacht Feierabend, fünfzehn Minuten bevor der erste Notruf eintraf.«
»Die Carpathia«, sagte Amy.
»Ah, ja«, bestätigte Ismay. »Die Carpathia. Es stimmt, daß die Polizei einige Male an meiner Tür war, aber sie irrten im Flur nur eine Stunde oder so zwischen Eisbergen von Entschuldigungen und dummen Erklärungen umher und dann gingen sie weg und dachten wohl, sie seien nicht am richtigen Platz. Sie konnten in der Zeit noch nicht einmal ein Wrack finden.«
»Caroline«, flüsterte Amy.
»Meinen Sie, ich sei so verrückt, die Polizei von ihr herführen zu lassen? Nein, sie wird nicht in der Lage sein, sie überhaupt irgendwo hinzuführen«, erwiderte er aus einem Mißverständnis.
Ich darf mich nicht von ihm ablenken lassen, dachte Amy. Etwas war mit Caroline. Etwas Wichtiges. Er hatte sie bei ihrem Gebet umgebracht. Bei ihrem Gebet. »Warum haben Sie mich umgebracht?« fragte sie, ohne sich anzustrengen, ihre Worte deutlich genug zu bilden, daß er sie ablesen konnte.
»Aus dem banalsten aller Gründe«, erklärte er. »Ihr Mann hat mich dafür bezahlt. Sieht so aus, als wollte er die reizende Debra. Haben Sie geglaubt, ich sei eitel genug, um Sie umzubringen, weil sie versucht haben, meine Tricks herauszufinden? Weil Sie unter meinem Seance-Tisch herumgeschnüffelt haben wie ein Kind, das nach Erklärungen sucht?«
Er hat Caroline unter dem Tisch nicht gesehen, dachte sie. Er weiß nicht, daß sie gesehen hat, wie ich umgebracht wurde. Aber das bedeutete etwas, sie wußte nur nicht, was.
»Er hat mich auch für Caroline bezahlt«, fuhr er fort und wartete auf ihren Gesichtsausdruck.
»Das würde ich nicht zulassen«, sagte Amy.
»Nicht? – Meine Liebe, Sie geben noch immer nicht die Hoffnung auf, was? Ich könnte ihren Körper als einen Altar benutzen, um ihre geliebte Caroline darauf umzubringen, und Sie könnten nicht einen Finger rühren, um mich daran zu hindern.«
Er hatte am Seance-Tisch gestanden. Nun sah sie, daß er lässig an der Tür lehnte. »Das Ende ist schon sehr nah. Ich würde gern bleiben und zusehen, aber ich muß Caroline suchen. Machen Sie sich keine Sorgen«, schloß er. »Ich werde sie finden. Die Rettungsboote sind alle fort.« Er schloß die Tür.
Er hat nicht gesehen, daß sie sich unter dem Tisch versteckte, als er mich ermordete, dachte Amy, und der nächste Gedanke folgte wie von selbst, erbarmungslos. Sie versteckt sich noch immer dort.
Ich muß die Tür abschließen, kam ihr in den Sinn, und sie watete durch das schrägliegende Zimmer darauf zu. Das Schloß lag schon unter Wasser, und sie mußte die Hand eintauchen, um es zu erreichen, aber als ihre Hand es ertastete, bemerkte sie, daß es überhaupt nicht das Schloß war. Sie hatte ihre eigene starre Hand berührt. Sie hatte sich keinen Zentimeter bewegt.
Das Ende muß schon sehr nah sein, dachte sie, denn ich habe keinen Funken Hoffnung mehr. »S.O.S.«, schrie sie mitleiderregend. »S.O.S.«
Sie stand ganz aufrecht neben ihrem Körper, ohne ihn zu berühren, und anfangs war die leichte Schlagseite nicht spürbar, aber nach langer Zeit streckte sie die Hände aus, als müßte sie sich abstützen, und ihre Hände drangen in die Hände ihres Körpers ein, und sie stürzte …
Caroline ließ die Polizisten herein. Sie hatten einen Durchsuchungsbefehl. »Sie haben meine Mami umgebracht«, sagte Caroline deutlich, ohne eine Spur von Tränen, und führte sie zu dem Leichnam.
»Ja«, sagte der Kapitän, als er Amy das Laken übers Gesicht zog. »Ich weiß.«
»Ich fürchte, hier hat sich eine Tragödie abgespielt«, sagte Ismay, der ins Zimmer kam. »Die Mutter des
Weitere Kostenlose Bücher