Die wahre Lehre - nach Mickymaus
Moon‹.
Seymour folgte weiter dem Verlauf des Weges und schritt tiefer in die Stadt hinein. Er wollte erst dann mit den Nachforschungen für sein Buch beginnen, wenn er sich einen Eindruck von der Stadt verschafft hatte.
Und während er durch die manchmal unglaublich schmalen Gassen des Labyrinths aus Straßen, Wegen, Pfaden, Brücken und Treppen wandelte, entstand in ihm eine sonderbare Neugier, die sich bald darauf in nervöse Unruhe und ein unbestimmtes Verlangen verwandelte. Es war fast, als stelle sich ihm die alte Stadt als eine Frau dar, die zwar verschlissene Kleidung trug, aber doch die Vorstellung weckte, darunter befände sich ein prächtiger und williger Körper.
Spät am Abend durchwanderte er einen verlassenen Bereich, und seine Schritte hallten laut von den steinernen Wänden wider. Ein Schild verlieh diesem Ort den Namen S. Trovaso. Es war ein kleiner Platz, der auf drei Seiten von einem Kanal mit halbhoher Ufermauer gesäumt wurde. Auf dieser Mauer saß ein alter dicklicher Mann, der in ein helles und zerknittertes Hemd und eine dunkle Hose gekleidet war. Der Kopf war eingehüllt in eine Wolke aus zerzaustem Haar. Die Füße steckten in Sandalen, die aus echtem Leder zu sein schienen. Er sah Seymour aus kleinen und ungewöhnlich lebhaften Augen an, und sein Blick vermittelte sofort Sympathie.
Seymour lächelte aus einem Reflex heraus und richtete seine Aufmerksamkeit anschließend auf den kleinen Platz, der so ruhig und still wirkte. Am Rande standen längst verlassene Häuser, die jedoch den Eindruck einer tiefen Vertrautheit in Pau erweckten – ein Gefühl, das sich völlig von dem unterschied, das an Bord der Raumstation in ihm entstand.
»Ja, solche Orte wie diesen hier müssen Sie besuchen, nicht die üblichen Plätze, die in den bunten Prospekten immer so angepriesen werden«, sagte der alte Mann in einem fast perfekten amerikanischen Englisch. Seymour drehte sich überrascht um.
»Die anderen Bereiche dieser Stadt können Sie sich auf irgendeiner Holokarte ansehen«, fügte der alte Mann hinzu. »Aber Orte wie diesen müssen Sie selbst entdecken. Und das lohnt sich bestimmt. Kommen Sie, kommen Sie! Von hier aus haben Sie einen noch besseren Blick.«
Seymour trat auf den alten Mann zu – und stellte fest, daß er recht hatte: Von der Ufermauer aus betrachtet formten sich die Konturen der Häuser, des Campo S. Trovaso, der Kirche und des Glockenturms zu einem erstaunlich faszinierenden Bild.
Pau war froh, all dies in sich aufnehmen und genießen zu können, und er begriff, daß ein ihm bisher unbekannter Faktor seines Selbst immer mehr in sein Bewußtsein vordrang – ein nach wie vor andauernder Prozeß, der mit dem Besuch dieser ungewöhnlichen Stadt begonnen hatte. Es kam ihm in den Sinn, daß ein Tag vielleicht nicht ausreichte, um gewisse verborgene Aspekte zu entdecken.
Der alte Mann lächelte. Er erhob sich von der Ufermauer und schritt auf eine Haustür zu. »Kommen Sie!« sagte er und winkte. Er hinkte ein wenig; und Seymour folgte ihm.
»Bestimmt können Sie sich nicht vorstellen, wie einst die Bewohner dieser Stadt durch die Kanäle fuhren, die hier wie Straßen sind. Ich zeige es Ihnen.«
Seymour lachte leise. »Sie werden es mir nicht glauben«, sagte er, »aber genau aus diesem Grund bin ich nach Doge City gekommen.«
Der alte Mann sah ihn fragend an.
»Ich suche Material für ein Buch über die Geschichte der Nautik«, erklärte Pau.
»Ach ja«, erwiderte der Mann und wiederholte: »Kommen Sie, kommen Sie!« Er öffnete die Tür und wich zur Seite, um Seymour Platz zu machen. Paulus betrat einen Raum, der nur drei Wände aufwies. Es war fast völlig dunkel in dem Zimmer, und das einzige Licht fiel durch die offene Vorderfront: der Widerschein des Himmels nach dem Sonnenuntergang. Auf dem staubigen Steinboden standen Arbeitstische, Werkbänke, Schemel und Hocker, und da und dort lagen seltsam geformte Holzstücke. Sägespäne hatten sich zu kleinen Haufen angesammelt, und der verwunderte Blick Seymours fiel auf diverse Töpfe und andere Behälter, an denen sich Krusten aus einer schwarzen glänzenden Substanz gebildet hatten.
Seymour wußte zwar, was Holz war, aber er hatte noch nie zuvor einen Ort gesehen, wo mit diesem Material gearbeitet wurde. Die Luft war erfüllt von einem Geruch, dem er keinen Namen zu geben vermochte, von einem Duft, der zugleich neu und uralt war, den Paulus bisher noch nie wahrgenommen hatte und der dennoch etwas berührte, das sich tief
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