Die Wahrheit der letzten Stunde
müssen das Recht eines jeden von uns auf diese Überzeugungen akzeptieren.«
Er nickt in Richtung der Zuschauer. »Also, ich habe erklärt, ich würde Ihnen Rede und Antwort stehen, und ich halte mein Wort. Irgendwelche Fragen?«
»Ja, Ian«, ruft ein Reporter der Times. »Das war ja eine nette politisch korrekte Ansprache, aber was für Beweise haben Sie bezüglich der Wunder zusammengetragen, die dieses Mädchen angeblich gewirkt haben soll?«
Ian verschränkt die Arme über der Brust. »Sie wollen wissen, ob Faith Heilkräfte besitzt, Stuart?« Der Reporter nickt. »Nun, ich habe Dinge gesehen, die ich noch nie gesehen habe und vermutlich nie wieder sehen werde. Aber dasselbe kann auch jemand von sich sagen, der einen Weltkrieg erlebt hat, das Nordlicht gesehen hat oder bei der Geburt siamesischer Zwillinge anwesend war. Und nichts von alledem kann man als Wunder bezeichnen.«
»Sieht sie nun Gott oder nicht?«
Ian schüttelt den Kopf. »Ich schätze, das werden Sie für sich selbst entscheiden müssen. Manche sind überzeugt davon, dass Faith von göttlicher Kraft erfüllt ist. Andere bezweifeln das.« Er beendet seinen Kommentar mit einem Achselzucken.
»Für mich klingt das, als würden Sie den Schwanz einziehen«, ruft eine Reporterin aus der ersten Reihe.
Ian blickt auf sie hinab. »Wie schade. Ich stehe hier und sage meine Meinung. Wenn sie Ihnen nicht gefällt, ist das Ihr Problem.«
»Werden Sie Pagan Productions auflösen?«, fragt ein anderer.
»Das will ich doch nicht hoffen«, entgegnet Ian. »Auch wenn wir uns möglicherweise umorientieren müssen.«
»Sind Sie mit Mariah White liiert?«
»Aber Ellen«, entgegnet Ian der Reporterin von der Washington Post kopfschüttelnd. »Ich habe doch eben erklärt, dass es niemanden etwas angeht, ob jemand an Gott glaubt oder nicht… Was glauben Sie da, wie meine Meinung zu privaten Beziehungen lautet?« Er blickt über die Menge und zeigt schließlich auf einen Mann mit einer Baseballmütze, auf der das CBS-Logo prangt. »Ja?«
»Mr. Fletcher, wenn Sie den Leuten künftig nicht mehr erzählen wollen, das Gott ein Irrglaube ist, was wollen Sie dann tun?«
Ian lächelt. »Ehrlich gesagt, das weiß ich noch nicht. Vielleicht bewerbe ich mich ja bei Ihrem Sender.«
»Ich möchte Sie zum Abendessen einladen«, sage ich impulsiv, aber Joan schüttelt den Kopf.
»Ich denke, Sie sollten unter sich feiern.«
Und so begleite ich sie nur zu ihrem Wagen, während meine Mutter mit Faith zur Toilette geht. »Sie haben es verdient, mitzufeiern.«
Joan lächelt. »Meine Vorstellung von einer Feier ist ein heißes Bad mit viel Schaum und ein großes Glas Rotwein.«
»Ich schicke Ihnen eine große Packung Badeperlen.« Joan lacht. »Tun Sie das.«
Wir sind bei ihrem Wagen angelangt. Joan legt ihre Aktentasche auf den Rücksitz und wendet sich mir dann mit verschränkten Armen zu. »Es ist noch nicht vorbei, wissen Sie. Noch lange nicht.«
»Glauben Sie, Colin geht in Berufung?«
Sie schüttelt den Kopf. Sie denkt an die vielen tausend Menschen, die von Faith gehört haben und etwas von ihr wollen. »Ich spreche nicht von Colin.«
In der Vatikan-Stadt hat Kardinal Sciorro den Vormittag an seinem Schreibtisch in den Räumen der Kongregation für Glaubensfragen verbracht. Er setzt Dekrete auf, leitet Infobriefe weiter, stapelt und sortiert. Unterlagen zu manchen Fällen wirft er in den Papierkorb.
Faith Whites Akte legt er auf den Stapel »unerledigt«, zu einem großen Stapel anderer Angelegenheiten, die teils seit Jahren einer näheren Betrachtung harren.
Ich habe gerade das Gerichtsgebäude betreten, um Faith und meine Mutter zu suchen, als ich Colin über den Weg laufe. »Rye!« Er legt mir die Hände auf die Schultern, bevor ich ihn in meiner Eile über den Haufen rennen kann. »Hi.«
Sofort steigt eine Welle des Triumphes in mir auf, dicht gefolgt von Schuldgefühlen. »Colin«, sage ich ausdruckslos.
»Ich, äh, wollte mich von Faith verabschieden. Wenn du nichts dagegen hast.«
Er starrt auf seine Schuhspitzen, und ich kann mir vorstellen, wie schwer ihm das alles fällt. Ich frage mich, wo Jessica steckt. Dann frage ich mich unversöhnlich, ob er gleich nach Hause fährt, um den Bauch seiner neuen Frau zu streicheln und daran zu denken, Faith zu ersetzen. »Kein Problem. Ich muss sie nur erst finden.«
Aber noch ehe ich mich abwenden kann, kommt sie angelaufen, der Rock ihres Kleidchens ist am Saum umgeschlagen. Ich streiche den Rock
Weitere Kostenlose Bücher