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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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1
    D ie Frau, die mir die Tür öffnete, kam mir winzig vor. Ich schaute auf sie hinunter wie auf ein Kind. Sie legte den Kopf in den Nacken.
    Sie trug ein schwarzes Kleid mit weißem Spitzenkragen. Und feste schwarze Schuhe. Sie mochte Mitte fünfzig sein.
    »Wer sind Sie?«, fragte sie.
    »Wir haben telefoniert.«
    »Sie sind Tabor Süden?«
    »Glauben Sie mir nicht?«
    »Zeigen Sie mal Ihren Ausweis!« Ich gab ihr eine Visitenkarte.
    »Was soll das denn?«, sagte die Frau, nachdem sie sich die kleine Karte dicht vor die Augen gehalten hatte. Manchmal war ich übermütig.
    »Haben Sie keinen richtigen Ausweis? So eine Karte kann ja jeder drucken!«
    Ich zog den blauen Ausweis aus der Tasche.
    »Müssen die nicht grün sein?«, sagte die Frau. Ich sagte: »Die Farbe wurde modernisiert.«
    »Darauf sehen Sie aber anders aus«, sagte die Frau.
    »Sind Sie Frau Grauke?«
    »Sie haben doch bei mir geklingelt! Sind Sie betrunken?«
    »Nein.«
    »Wie viel haben Sie getrunken? Geben Sies zu, ich hab Verständnis für Säufer, mein Mann ist auch einer.«
    »Nur Kaffee und Mineralwasser«, sagte ich. Es war heiß. Mindestens achtundzwanzig Grad. Die Sonne schien mir direkt auf den Hinterkopf.
    »Dann kommen Sie endlich rein!«, sagte Frau Grauke. Wir gingen durch den nach Lorbeer riechenden Flur. Auf dem Tisch im Wohnzimmer standen drei Teetassen, eine Kanne und ein Teller mit Plätzchen.
    »Mein Mann ist weg«, sagte Frau Grauke unvermittelt.
    »Wo ist er hin?«, fragte ich. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Schon beim Aufstehen hatte ich mich von Ute an mein Alter erinnern lassen müssen. Aus Gründen, die ich nicht verstand, war sie der Meinung, erwachsen zu sein habe etwas mit Ernsthaftigkeit zu tun, zumindest in den wesentlichen Dingen.
    Ich fand, dass alles, je älter man wurde, immer weniger ernsthaft schien. Immer weniger.
    »Wie bitte?«
    »Was?«, sagte ich.
    »Sie sind doch betrunken!«
    Ich rührte mich nicht. Zuerst musterte sie meine braunen Lederstiefel. Dann kletterte ihr Blick meine speckige, an den Seiten geschnürte Lederhose hinauf. Verweilte auf meinem weißen Hemd und der Lederjacke. Schließlich starrte sie mir ins Gesicht.
    »Sie müssen sich mal rasieren, Sie!«
    »Ja«, sagte ich.
    »Und zum Friseur müssen Sie auch!«
    »Nein.«
    Heute Morgen hatte ich wieder keine Zeit gehabt, mir die Haare zu waschen. Wegen Utes Monolog. Ich hörte ihr zu. Dann musste ich los.
    »Und Sie haben grüne Augen, weil Sie Polizist sind«, sagte Frau Grauke.
    »Unbedingt«, sagte ich.
    »Und Sie heißen tatsächlich Tabor Süden?«
    »Wollen Sies noch mal lesen?«
    Frau Grauke setzte sich auf die Couch. Und goss Tee in beide Tassen.
    »Mein Mann ist weg«, sagte sie wieder. »Und jetzt hab ich die Polizei im Haus.« Sie sprach zu ihrer Tasse. Hielt sie hoch, ohne aus ihr zu trinken.
    Es klingelte an der Tür.
    »Wären Sie so freundlich?«, sagte Frau Grauke.
    Ich ging zur Tür. Draußen stand eine Frau, die nicht viel größer war als Frau Grauke.
    »Grüß Gott, großer Mann«, sagte sie mürrisch.
    »Grüß Gott.«
    »Ich bin Frau Trautwein.«
    »Ich bin Herr Süden.«
    »Süden wie Norden?«
    »Wie Norden, Osten und Westen«, sagte ich.
    »Gibts neuerdings Humorausbildung bei der Polizei?«, sagte Frau Trautwein finster, schob mich beiseite und ging eilig ins Wohnzimmer.
    Ich schloss die Tür. Und roch an dem Lorbeerkranz, der an der Innenseite hing.
    »Sie haben keinen Durchsuchungsbefehl«, sagte Frau Trautwein, als ich ins Zimmer kam.
    »Das ist meine Schwester«, sagte Frau Grauke.
    »Mir wärs lieber, Sie hätten eine Kollegin mitgebracht«, sagte Frau Trautwein.
    »Die kommt gleich«, sagte ich. »Sie hat noch einen Termin.«
    »Setzen Sie sich!«, befahl Frau Grauke.
    »Ich steh lieber.«
    »Bevor Ihre Kollegin nicht hier ist, fangen wir nicht an«, sagte Frau Trautwein und nahm neben ihrer Schwester Platz. Frau Trautwein trug ein dunkelblaues Kostüm, dazu eine weinrote Handtasche, die sie ständig an ihrem Handgelenk zurechtrückte. Frau Trautwein schien etwas älter zu sein als ihre Schwester, Ende fünfzig.
    »Wollen Sie eine Tasse Tee?«, fragte Frau Grauke.
    »Ja.«
    »Im Vergleich zu Ihrer Figur auf dem Foto haben Sie ganz schön angekörpert«, sagte sie, während sie mir die eingeschenkte Tasse reichte.
    Ich sagte: »Auf dem Foto ist hauptsächlich mein Gesicht zu sehen.«
    »Sie haben auch im Gesicht angekörpert.« Ein verhutzeltes Grinsen huschte über ihren Mund. Ich stellte die Tasse mit

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