Die Wahrheit des Alligators
dachte, es wäre der Pfleger. Ich hatte ihn gebeten, mir eine Ampulle ›Tiramisu‹ zu geben«, murmelte er angestrengt. »Wie geht’s dir?« fragte ich.
»Schlecht, Alligator. Mir fehlt der Stoff, mir fehlt die Piazza.«
»Bald bist du wieder zurück.«
»Sicher.«
»Ich hab dir ein bißchen Knete mitgebracht«, sagte ich und schob ihm das Geld, das wir den Carusos abgenommen hatten, unters Kopfkissen.
Benjamino ging hinaus und kam mit dem Pfleger wieder, der eine Spritze bereithielt.
»Ich hatte die ›Medizin‹ ganz vergessen«, erklärte er und zwinkerte Marietto zu.
Wir fuhren nach Punta Sabbioni, wo wir in den Wagen des alten Rossini umstiegen.
»Wohin sind wir unterwegs?« fragte ich.
»Zur französischen Grenze. In Marseille nehmen wir die Fähre nach Korsika. In Bastia kenne ich einen Schmuggler, der tief bei mir in der Kreide steht. Dort sind wir in Sicherheit, bis sich absehen läßt, was Sartori und Ventura vorhaben.«
»Meinst du, sie ziehen uns mit hinein?«
»Das bezweifle ich. Auch für sie ist es besser, uns von Bullen und Richtern fernzuhalten: Auch wenn wir wenig glaubwürdig sind, sind wir doch immerhin zwei Zeugen … du wirst sehen, sie werden behaupten, Opfer dunkler Machenschaften geworden zu sein, und werden versuchen, den Schaden zu begrenzen.«
»Und am Ende werden die Brüder Caruso bestimmt angeklagt, Magagnins geheimnisvolle Komplizen gewesen zu sein. Luthers Idee, ihren Wagen vor der Villa des Anwalts zu parken und die Pistole, die wir Artoni abgenommen haben, ›zufällig‹ im Handschuhfach zu ›vergessen‹, war wirklich genial.«
»Du wirst sehen, Ende des Sommers können wir nach Italien zurück. Mit der gebotenen Vorsicht natürlich: Wir müssen davon ausgehen, daß sie sich eines Tages rächen wollen.«
»Zuerst müssen sie aber erst mal aus dem Meer von Scheiße wieder auftauchen, in das wir sie gesteckt haben.«
»Solche Leute haben sieben Leben, wie die Katzen.
Besser, du machst dich schon jetzt mit der Idee vertraut, daß du nicht nach Padua zurück kannst.«
»Es wird mir nicht fehlen.«
»Willst du den Auftrag annehmen, den man dir in Sardinien angeboten hat?«
»Vielleicht. Ich brauche Geld, und dann bin ich noch nie dort gewesen. Vielleicht finde ich es ja schön dort. Und du, welche Pläne hast du für die Zukunft?«
»Vor allem muß ich die Angelegenheiten in Punta Sabbioni regeln. Zum Glück habe ich jemand, dem ich die Geschäfte in meiner Abwesenheit anvertrauen kann. Dann werden wir sehen.«
Benjamino zündete sich eine Zigarette an. »Ab und zu denke ich daran, auszusteigen, mich auf irgendeine Insel im Pazifik abzusetzen, mir ein Segelboot zu kaufen, alt zu werden und das Leben zu genießen«, erklärte er mit einem Hauch von Melancholie.
»Das könnte eine Lösung sein. Der alte Seeräuber im Ruhestand. Warum tust du es nicht?«
»Das ist ein Abenteuer, das ich mir allein nicht zutraue. Würdest du mitkommen?«
»Kannst du dir vorstellen, was ich als Privatdetektiv auf der Insel Tonga mache?«
»Diesen Scheißjob willst du wohl partout nicht aufgeben, was?« fragte er grinsend. »Ich denke gar nicht daran.«
»Dann gehe ich auch nicht hin. Weißt du, wie teuer mich das zu stehen käme, jedesmal hin und her zu fliegen, um dir aus der Patsche zu helfen?«
»All dein mühsam Erspartes.«
»Genau. Es ist besser, ich bleib in Reichweite, so daß ich dich besser im Auge behalten kann.«
Um sechs Uhr früh, kurz vor der Grenze, schaltete ich das Radio ein, um Nachrichten zu hören.
Padua. Gestern abend gegen 22 Uhr 30 wurde im Garten der Villa eines bekannten Strafverteidigers, Rechtsanwalt Alvise Sartori, die Leiche eines Mordverdächtigen gefunden. Die Angelegenheit ist in vieler Hinsicht unklar. Der Paduaner Lokalreporter Giovanni Galderisi, der dank eines anonymen Anrufs als erster zur Stelle war, fand in den Händen der Leiche, die scheinbar – ein grauenerregendes Detail – tiefgefroren war, ein Tonband, das kompromittierende Enthüllungen über einige angesehene Persönlichkeiten der Stadt enthalten soll, den Eigentümer der Villa eingeschlossen.
Vor dem Gartentor wurde der Wagen der Brüder Ugo und Alfredo Caruso gefunden, sie sind vorbestraft und werden verdächtigt, dem Camorra-Clan der Ponzano anzugehören. Die beiden werden polizeilich gesucht.
Rechtsanwalt Sartori, der zum Zeitpunkt der Auffindung der Leiche nicht anwesend war, trafen die Ermittler im Haus von Freunden an. Da er unter Schock stand, war er nicht
Weitere Kostenlose Bücher