Die Wahrheit stirbt zuletzt
japanischen Inseln ablieferten.
Ich war am Leben, aber lebte ich auch?
Der japanische Angriff auf Pearl Harbour im Dezember 1941 riss mich aus meiner Langeweile. Wir lagen aufKauai im Hafen, brachen aber sofort mit Kurs auf Honolulu auf, wo ich mich als Freiwilliger bei der amerikanischen Flotte meldete.
So gelangten meine Papiere in Keenans Büro. Er war immer auf der Suche nach neuen Talenten, erzählte er mir später. Nach jungen Männern, die europäische Sprachen beherrschten. Ich beherrschte drei. Nach nur einem Monat Rekrutenausbildung wurde ich ohne jede Erklärung nach San Diego beordert, wo Keenan auf mich wartete. Er wollte mich für den neu gegründeten Geheimdienst OSS anwerben und mich nach Europa zurückschicken. Er war jetzt Major Paul Keenan.
Ich war sehr überrascht, als ich sein Büro betrat, und salutierte unwillkürlich vor dem stattlichen Mann in der Uniform mit dem Majorsabzeichen auf dem Kragen, der noch immer seine kubanischen Zigarren rauchte.
»Habe ich es damals nicht gesagt, Meyer«, sagte er lächelnd, während er mir, dem gewöhnlichen Soldaten, die Hand reichte, »dass wir uns wiedersehen werden? Jetzt möchte ich gern meinen Schuldschein bei dir einlösen. Du sollst für mich arbeiten.«
Alles Weitere ist bekannt und wurde in den Festreden anlässlich meiner runden Geburtstage gern wiederholt. Selbstverständlich wird es auch die Nachrufe prägen, die auf mich verfasst werden. Angesichts meines hohen Alters sind sie natürlich längst geschrieben und liegen zur Veröffentlichung bereit. Es fehlt nur noch die letzte entscheidende Aktualisierung: mein Sterbedatum.
Major Keenan nahm mich mit auf die Britischen Inseln und bildete mich dort zum Agenten und Saboteur aus. Im Oktober 1943 wurde ich mit einem Fallschirm in der Nähe von Viborg abgeworfen, denn ich sollte mithelfen, den schleppenden dänischen Widerstandskampf anzukurbeln. Ich traf meinen alten Freund Svend wieder, der zusammen mit Brodersen eine Widerstandsgruppe gegründet hatte.Svend war noch immer eine Art zweifelnder heimatloser Kommunist, auch wenn die Partei ihn im Juli 1941 in Gnaden wieder aufgenommen hatte. Brodersen war nach wie vor ein unverbesserlicher konservativer Nationalist, aber im Krieg kommt es zu den erstaunlichsten Liaisons.
Vor allem waren sie beide viel bessere Menschen als ich, aber das Leben ist nicht gerecht. Brodersen wurde im Herbst 1944 geschnappt und zwei Wochen später im Rypark hingerichtet. Svend erwischte denjenigen, der Brodersen verraten hatte, wurde aber im Januar 1945 selbst festgenommen und starb drei Monate später kurz vor der Befreiung im KZ Neuengamme. Es war eine Frau, die ihn an die Gestapo verraten hatte. Mein bester Freund war immer ein Frauenheld gewesen, und er war so versessen auf Sex, dass er dafür unnötige Risiken einging. Ich hatte ihn immer damit aufgezogen, dass nicht die Deutschen oder ihre dänischen Handlanger seinem Leben ein Ende machen würden, sondern ein eifersüchtiger Ehemann oder eine verschmähte Geliebte. Es war schlussendlich eine eifersüchtige Frau und Landesverräterin.
Ich schoss ihr zweimal in den Kopf, als sie, zu neuen Schandtaten bereit, aus einem Friseursalon kam.
Ich überlebte den Krieg. Mein Los ist es zu überleben, während die Menschen, die mir etwas bedeuten, um mich herum sterben. Pandrup war kein Freund, im Gegenteil, aber auch er starb früh. Bei den letzten verzweifelten Angriffsversuchen der Republik wurde er bei der Überquerung des Ebro getötet.
Das, wovon ich im Folgenden noch erzähle, wird in den Porträts über mich nie erwähnt und kann auch in die Nachrufe keinen Eingang mehr finden.
1948 hob ich den Großteil meines Geldes von der Bank ab und brach mit zweien meiner alten Kontakte aus New York zu einer Expedition auf. Für Geld waren sie bereit, alles zu tun und darüber zu schweigen. Das Gesetz derOmertà war für diese Sorte Menschen von der Cosa Nostra noch immer heilig. Wir reisten nach Spanien.
Wir fuhren mit dem Schiff durch die Sommerwärme bis nach Cartagena. Der Großteil Europas außerhalb von Dänemark war von der Trostlosigkeit und Armut der Nachkriegszeit geprägt. Die Städte waren Ruinenhaufen. Cartagena war da keine Ausnahme. Und die verfluchte Kirche auch nicht. Die Kathedrale von Cartagena war 1939 in der letzten Phase des Bürgerkriegs noch mehr beschädigt worden. Ein Luftangriff hatte den Turm an der Nordseite einstürzen lassen und die römischen Ruinen vollkommen verschüttet.
Der Hunger
Weitere Kostenlose Bücher