Die Wahrheit über Kim Novak und den Mord an Berra Albertsson
glauben. Das wird jedenfalls aus dem Buch klar. Aber nachdem Edmund über die Sache noch einmal geschlafen hat, empfand er trotz allem eine gewisse Unruhe … einen Druck auf der Brust, genau da, wo das Gewissen sitzt. Ja, so hat er sich ausgedrückt.
HN : Nun gut, er hatte Gewissensbisse. Aber warum?
GM : Weil er sich nicht sicher war, was Erik
Wassman tun würde. Erik sei sehr moralisch. Manchmal mehr, als gut für ihn sei. »A man’s gotta do what a man’s gotta do.« Sie benutzen diese Formulierung ja auch im Buch, und Edmund erzählte mir, dass genau diese Worte für Erik ungemein wichtig waren. Sie beschrieben ganz einfach eine Art moralischer Haltung, und in gewissen Situationen könnten sie sogar schwerer wiegen als die Wahrheit selbst.
HN : Jetzt komme ich nicht mehr ganz mit.
GM : Ich bin überzeugt davon, dass Sie das tun, stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind. Es ist ganz einfach eine Frage von Pflichtbewusstsein, von dem, was Kant den kategorischen Imperativ nennt, Sie haben ja wohl Kant gelesen.
HN : Ich habe Kant gelesen.
GM : Schön. Der kategorische Imperativ hat seinen Platz auch in Mordgeschichten, und was die Ereignisse bei Genezareth angeht, so lässt sich leicht nachvollziehen, dass auf Erik eine große Verantwortung ruht. Wenn Bertil Albertsson umgebracht werden muss, dann ist es in erster Linie Eriks Aufgabe, das zu übernehmen. Er ist derjenige,
der in Ewa Kaludis verliebt ist, es ist sein Bruder, der eine unschickliche Liaison …
HN : Ja, ja, das ist mir alles schon klar. Aber …?
GM : Aber er hat die Verantwortung nicht übernommen. Edmund war derjenige, der es für ihn getan hat, das ist der Punkt. Er war es, der Kanonen-Berra mit dem Vorschlaghammer erschlagen hat, und bedenken Sie, dass Erik Wassman das all die Jahre über wusste. Das hat an seinem Gewissen genagt, aber erst nach diesem letzten Gespräch erhält er die Gewissheit und einen gewissen Frieden. Er fährt zurück an den Tatort, gräbt den Vorschlaghammer nach Edmunds Anweisungen aus und überführt ihn an einen deutlichen sichereren Platz, in einen See in der Gegend von Skara. Und nachdem Edmund tot ist, macht er den letzten entscheidenden Schritt.
HN : Den letzten entscheidenden Schritt?
GM : Er beschließt, den Mord auf sich zu nehmen. Er hätte ihn ausführen müssen, also war er derjenige, der ihn ausgeführt hat. Das sind die Schlussfolgerungen, zu denen Edmund gekommen ist, und deshalb hat er mit mir reden wollen.
HN : Um Ihnen zu sagen, dass er es getan hat?
GM : Ja. Edmund Wester hat Bertil Albertsson getötet, was immer Erik Wassman auch behaupten mag.
HN : Aber das war Ihnen noch nicht klar, als Sie mit Edmund dieses letzte Mal sprachen?
GM : Nein, wie schon gesagt. Der Gedanke tauchte zwar bereits auf, als ich das Buch las, aber in ihm steht ja nicht explizit, wer der Mörder war. Erst als ich diese Sache mit meinem Mann vor ein paar Monaten diskutiert habe, begriff ich, was Edmund mir damals eigentlich hatte sagen wollen.
HN : Dass es genau genommen er gewesen war, der Bertil Albertsson ermordet hat, er aber glaubte, Erik würde die Schuld auf sich nehmen?
GM : Ungefähr so, ja.
HN : Aus moralischen Gründen.
GM : A man’s gotta do what a man’s gotta do, ja.
HN: Vielen Dank, Gertrud Moddis. Haben Sie noch etwas hinzuzufügen?
GM : Nein, höchstens, dass ich froh bin, mein Herz erleichtert zu haben. Ich weiß, dass Edmund oben von seinem Platz im Himmel unserem Gespräch
zuhört und dass er auch dankbar ist. Als der Mörder, der er trotz allem ist.
HN : Dann machen wir hier Schluss.
GM : Ja, das ist eine gute Idee, vielen, vielen Dank.
Kommentar : Im Laufe des Gesprächs musste ich feststellen, dass Frau Moddis mir irgendwie bekannt vorkam, und nach einigen Stunden des Nachdenkens habe ich mich auch wieder an sie erinnert. Ich kannte sie von verschiedenen Autorenveranstaltungen, die ich im Herbst 1998 in Mittelschweden absolviert hatte, in Zusammenhang mit der Herausgabe des Buches über den Genezareth-Mord. Sie war im Laufe von nur zwei Wochen mindestens bei drei verschiedenen Veranstaltungen anwesend, saß immer weit hinten im Publikum, auf einem der äußersten Plätze rechts. Sie stellte nie eine Frage, aber ich erinnere mich, dass sie ein blaues, locker geknotetes Tuch trug, das auf die Schultern fiel, und dass sie sich jedes Mal Notizen machte. Ich habe in diesem Herbst tatsächlich manches Mal über sie nachgedacht, aber in dem Jahrzehnt, das seitdem vergangen ist, ist
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