Die Wahrheit über Kim Novak und den Mord an Berra Albertsson
Großen und Ganzen seit Ewa Kaludis’ Tod 2000, wenn ich mich nicht irre) in den USA lebt. Genauer gesagt, irgendwo im Staat New York, auf jeden Fall, soweit ein gewisser Herr K. es mir sagen konnte. Ziemlich weit im Norden, dicht an der kanadischen Grenze offenbar.
Ich beschließe also, Erik für ein letztes klärendes Gespräch aufzusuchen, und Ende Oktober 2008 treffe ich ihn in der kleinen Ortschaft Four
Peaks im Naturschutzgebiet Adirondacks, ungefähr eine Stunde Fahrt auf kurvigen Straßen vom zweifachen olympischen Wintersportort Lake Placid entfernt. Er leitet dort eine Art Campingplatz, eine Handvoll einfacher, grob zusammengezimmerter Holzhütten, verteilt auf zwanzig Hektar in einer Wildnis voller Bären, Elche, Füchse, Koyoten sowie diverser anderer wilder Tierarten. Ich treffe ihn an einem Samstagnachmittag bei einigen Gläsern Bier und einem halben Dutzend Forellen, die er aus einem der vielen dort rauschenden Flüsse und Bäche, die die Landschaft durchkreuzen, herausgeholt hat. Ihm gehören nicht weniger als vier Hunde, alles Promenadenmischungen, die während unseres Gesprächs zusammengerollt vor der Feuerstätte schlummern, in der ein kräftiges Lagerfeuer die einsetzende Dämmerung begleitet.
Er hat sich verändert. Schließlich sind auch mehr als zwölf Jahre vergangen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Der gebeugte, bärtige Mann, der mich empfängt, ist ein einsamer Wolf. Ein ungepflegter, sturer Eigenbrötler, ich hätte ihn nicht wiedererkannt, wäre er mir irgendwo
auf der Straße begegnet. In urbanem Milieu hätte man ihn für einen Penner halten können. Aber ich weiß, dass ich Erik Wassman vor mir habe, und als wir uns das letzte Mal trafen, gestand er mir, dass er ein Mörder ist. Dass er einen Menschen erschlagen hat, als er gerade einmal vierzehn Jahre alt war, und dass er damit einverstanden war, dass ich einen Roman auf diesem Ereignis aufbaue. Einem Mord, der nunmehr sechsundvierzig Jahre zurückliegt.
»Es ist höchste Zeit«, erkläre ich nach dem ersten Fisch und der ersten Flasche Bier. »Höchste Zeit, ein für alle Mal einen Schlussstrich unter diese alte Geschichte zu ziehen.«
Er nickt, verzieht jedoch keine Miene.
»Es sind Spekulationen aufgekommen«, fahre ich fort. »Spekulationen und Ungereimtheiten. Wir waren uns vor zehn Jahren doch einig, du erinnerst dich?«
Er gibt zu, dass er sich erinnert. Sein typischer sanfter Blick lässt plötzlich jeden Zweifel schwinden, dass er es ist, ich erkenne ihn endlich wieder. Außerdem kann ich sehen, dass er gar nicht so viel
gegen meinen Besuch hat, wie ich dachte. Er ist es nur nicht gewohnt, mit Menschen Kontakt zu haben – ausgenommen natürlich die vereinzelten Gäste, die auf seinen Campingplatz kommen, aber ich nehme an, dass es nicht besonders viele sind. Und irgendwelchen besonderen Service bietet er nicht an, abgesehen von Holz und Kerzen. Ich selbst übernachte in einer Hütte mit dem Namen »Skunk II«.
»Außerdem gibt es einige neue Informationen«, füge ich hinzu. »Mehr oder weniger überraschend. «
»Was für Informationen?« Er trinkt einen Schluck Bier, seine Augen werden feucht von dem bitteren Getränk.
»Über Edmund beispielsweise.«
»Edmund?«
Ich kann nicht ausmachen, ob seine Verwunderung gespielt oder echt ist. Vielleicht beides.
»Es gibt Informationen, die darauf hindeuten, dass Edmund den Mord auf sich genommen hat, bevor er starb.«
Erik schüttelt den Kopf. »Edmund konnte keiner
Fliege etwas zu Leide tun. Was sind das für Informationen?«
Ich berichte kurz von Gertrud Moddis, und Eriks Blick ist voller Zweifel. »Was für einen Eindruck hattest du von ihr?«, fragt er, als ich fertig bin, und ich muss zugeben, dass ich mir nicht sicher bin. Möglicherweise ist sie eine Betrügerin mit einer von A bis Z erstunkenen und erlogenen Geschichte, eine dieser Leserinnen, die vielleicht mit ihrem Mann gewettet hat, wer nun der Mörder im Buch ist, und dann entschieden hat, die Sache sozusagen in die eigenen Hände zu nehmen. Das fiktive Geschehen selbst zu beeinflussen. Aber ich habe mir nie die Mühe gemacht, in dieser Richtung weiter nachzuforschen.
Erik schweigt eine Weile und denkt nach. »Auch wenn sie die Wahrheit sagt, so heißt das nicht, dass sich dadurch unbedingt etwas ändert«, erklärt er. »Ich kann mir vorstellen, dass Edmund die Sache auf sich nehmen wollte. Was er da über Moral sagt, funktioniert ebenso gut in die andere Richtung.«
»Aber es steckt also
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