Die Wall Street ist auch nur eine Straße
Firmen fühlte ich mich wie ein Fisch auf dem Trockenen. Bei Dick studierte ich den ganzen Tag Wachstumsraten, bei Roy beobachtete ich Minute für Minute das Kurslaufband. Ich bin ein Investor, kein Trader. Ich versuche, eine Aktie billig zu kaufen und nie wieder zu verkaufen. Es gibt viele Möglichkeiten, an der Wall Street Geld zu verdienen, und ebenso wie auf jedem anderen Gebiet, sei es nun die Musik, die Kunst oder das Finanzwesen, muss man seinen eigenen Weg finden. Ich fand meinen, ebenso wie Roy und Dick die ihren gefunden hatten.
Zehn Jahre, nachdem ich mit George Soros Quantum gegründet hatte, war es an der Zeit, wieder meinen eigenen Weg zu finden.
SCHON ALS JUGENDLICHER träumte ich von Erfolg und erzählte jedem, der mir zuhören wollte, dass ich mit 35 Jahren in den Ruhestand gehen würde. Als ich Jahre später an der Wall Street Erfolg hatte, sprach ich ganz offen darüber, dass ich diesem Plan treu bleiben wollte. Ich sagte meinen Freunden, dass ich mehrere Karrieren erleben wollte, nicht nur eine einzige in meinem ganzen Leben. Ich wollte nicht mit 75 Jahren an der Wall Street aufwachen und auf das Kursband starren. Ich wollte mehrere verschiedene Leben führen. So würde ich zwar vielleicht weniger Geld verdienen, aber an Spannung würde sicher kein Mangel herrschen.
Und in all den Jahren hatte ich meinen Freunden immer wieder meine Abenteuerlust dargelegt und ihnen gesagt, dass ich auf meinem Motorrad rund um die Welt fahren wollte. Das war eines von vielen Zielen, die ich mir gesetzt hatte, und jetzt war die Zeit gekommen, diesen Traum zu verwirklichen. Von dem römischen Zensor Appius Claudius Caecus ist der berühmte Satz überliefert: »Jeder ist seines Glückes Schmied.« Und alles, was ich bis zu diesem Zeitpunkt meines Lebens erreicht hatte – ebenso wie die Dinge, an denen ich gescheitert war – hatte diese Einschätzung bestätigt. Heute, nach zwei Reisen um die Welt, empfinde ich dies sogar noch stärker; wahrscheinlich weil diese Einschätzung dem Mann zugeschrieben wird, der die Via Appia bauen ließ, die erste und berühmteste Straße Roms.
1979 hatte ich die Entscheidung getroffen, die Wall Street zu verlassen. Ich hatte schon damit begonnen, meine Freiheit zu kosten, wenn auch nur in meiner Fantasie. Aber gegen Ende des Jahres durchliefen die Märkte eine sehr schwierige Phase. Beim Quantum Fund investierten wir damals ziemlich gut, und wie üblich verdienten wir viel Geld. Daher sagte ich mir, nein, das macht einfach zu viel Spaß – und blieb. Also war ich noch immer dort. Ich war 37 Jahre alt. Und ich hatte meine zeitlichen Ziele überzogen. In psychologischer Hinsicht war ich auf den Ruhestand vorbereitet und wäre nicht so lange geblieben, aber meine Entscheidung war noch nicht endgültig, bis plötzlich alles keinen Spaß mehr machte.
In diesem Jahr führte die Securities and Exchange Commission bei uns eine Untersuchung wegen einer Investition in ein Unternehmen namens Computer Sciences Corporation durch. Die SEC behauptete, mein Partner George Soros habe den Aktienkurs manipuliert. Er wurde beschuldigt, die Aktie leer verkauft und diese Positionen später glattgestellt zu haben, indem er sie kurz vor einer bevorstehenden Neuemission billiger zurückkaufte. Man gab ihm die Chance, ein Dokument zu unterzeichnen, in dem er und die Firma zwar keine rechtswidrigen Handlungen gestehen, aber versprechen mussten, so etwas nie wieder zu tun. Warum sollten wir so etwas unterschreiben, fragte ich ihn? Warum sollten wir unterschreiben, wenn wir nichts Unrechtes getan hatten? Warum sollte man das so deuten können, als hätten wir die Aktie manipuliert? Seine Antwort schockierte mich: »Weil ich genau das getan habe.«
Ich sagte zu ihm: »George, mein guter Ruf ist mir mehr wert als eine Million Dollar.«
Und ich erinnere mich noch gut an seine Antwort: »Mir nicht.«
Er sagte das zwar im Scherz, aber er meinte es ernst: Geld zu verdienen war ihm wichtiger als alles andere, das bei einer Transaktion auf dem Spiel stand.
Dieser Vorfall war das erste Zeichen, dass sich unsere Prioritäten auseinanderentwickelten, und dieser Eindruck wurde durch einige andere Ereignisse noch verstärkt, auf die ich im Frühling 1980 aufmerksam wurde. Was da passierte, gefiel mir nicht. Wir wurden größer. Wir hatten damals acht oder zehn Angestellte. Wir verwalteten mehr als 250 Millionen Dollar, und das sah nach viel Geld aus, wenn man bedenkt, dass wir mit 12 Millionen Dollar angefangen
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