Die Wall Street ist auch nur eine Straße
war bereit, angestrengter zu lernen als alle anderen. Dann kam eine Prüfung, wie ich mich erinnern kann, und einer meiner Klassenkameraden sagte, er werde fünf Stunden lernen, um sich darauf vorzubereiten. »Diese Prüfung ist fünf Stunden Lernen wert«, sagte er. Ich fand seine Argumentation sehr seltsam. Meine Methode war, so lange zu lernen, bis ich das Thema beherrschte, und dann sicherheitshalber noch ein bisschen mehr. Das war auf allen Gebieten meine Methode; diese Disziplin hatten meine Brüder und ich von unseren Eltern übernommen. So etwas wie »genug« gibt es nicht. Man lernt, arbeitet oder forscht einfach weiter; egal, um welche Aufgabe es sich handelt.
Ich wünschte, ich könnte diesen Charakterzug heute auf meine Kinder übertragen. Ich wünschte, ich könnte meine Eltern anrufen und fragen: »Welche Pille habt ihr uns gegeben?« Nennen Sie es Disziplin, nennen Sie es Sorgfalt oder Arbeitsethik – wir haben sie alle, meine Brüder und ich. Ich weiß nicht, woher das kommt. Ich wünschte, ich könnte das Gen dafür bestimmen. Ich bin sicher nicht der Einzige, der den Wert der Beharrlichkeit zu schätzen weiß. Wir alle kennen kluge Menschen, die nicht erfolgreich sind; wir alle kennen talentierte Menschen, die nicht erfolgreich sind. Beharrlichkeit macht den Unterschied aus.
Die Kosten für Studiengebühren, Kost und Logis in Yale betrugen damals 2300 Dollar jährlich. Mit meinem 2000-Dollar-Stipendium fehlten mir also von Anfang an 300 Dollar – und hinzu kamen noch die Kosten für Bücher und andere Ausgaben. Also arbeitete ich ein paar Stunden pro Woche als Aushilfe im Speisesaal und nahm weitere Teilzeitarbeiten an der Universität an, wann immer ich dort war.
Arbeitserfahrung in der Jugend bietet quantifizierbare Vorteile. Sie lehrt nicht nur den Wert des Geldes, sondern hilft auch bei der Entwicklung einer eigenen Identität. Wenn man lernt, die eigenen Finanzen zu managen, gewinnt man ein greifbares Maß an Autonomie. Schon früh im Leben finanzierte ich mein eigenes Auto, lange bevor ich nach Yale kam. Als ich sechs Jahre alt war, brachte mir mein Vater bei, dass »Geld nicht auf Bäumen wächst«, und bestand darauf, dass ich meinen Baseballhandschuh selbst bezahlte. Ich ging zu Braswell Hardware in Demopolis und suchte mir einen Handschuh aus, der 4 Dollar kostete. Ich nahm ihn mit nach Hause, und jeden Samstag stotterte ich beim Ladenbesitzer Cruse Braswell 15 Cent ab, bis der Kaufpreis vollständig beglichen war. Jahre später zitierte der Dekan einer Business School eine Universitätsstudie und sagte mir, der beste Prognosefaktor für ein glückliches Lebens als Erwachsener sei ein bezahlter Job im Jugendalter.
Alles in allem verbrachte ich eine schöne Zeit in Yale. Ich wählte Geschichte als Hauptfach und war in den ersten beiden Studienjahren Steuermann des Ruderteams (im letzten Jahr nicht mehr). Ich beschäftigte mich sogar ein wenig mit Schauspielerei und hatte einige Hauptrollen. Der Regisseur einer dieser Aufführungen war John Badham aus dem Abschlussjahrgang 1961. Können Sie sich vorstellen, was für ein Erfolg sein Film Saturday Night Fever geworden wäre, hätte er sich an mich erinnert und mir die Hauptrolle gegeben? Aber so gut es mir auch gefiel, ich ließ mich nicht zu intensiv darauf ein; aus demselben Grund, warum ich im letzten Studienjahr kein Steuermann mehr war. Ich verbrachte die Zeit lieber mit meinen Studien. Und diese Disziplin zahlte sich aus. Ich war zwar nicht so klug wie alle anderen, aber ich schloss das Studium »cum laude« ab.
Und wie so viele andere College-Absolventen hatte ich überhaupt keine Ahnung, was ich nun tun sollte.
Meine Bewerbungen wurden von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Harvard und von den juristischen Fakultäten in Harvard und Yale akzeptiert, aber es hätte auch eine medizinische Fakultät sein können, so begeistert war ich davon, zwischen ihnen allen wählen zu können. Was ich wirklich wollte, war zu reisen. Als Junge hatte ich mit Begeisterung Dickens’ Pickwick Papers gelesen. Die Gentlemen des Pickwick Clubs und ihre seltsamen Abenteuer haben bei der Entwicklung meiner Wanderlust vielleicht eine Rolle gespielt. Schon damals, mit 21 Jahren, war mir bewusst, dass einfach die Ortsveränderung – in meinem Fall vom ländlichen Alabama zu einem berühmten und angesehenen College 1000 Meilen von der Heimat entfernt – ein wichtiger Teil meiner Ausbildung war. Das öffnete mir die Augen, und ich lernte viel
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