Die Wall Street ist auch nur eine Straße
über die Gründung der Stadt, wie sie in den Serajah Melayu (»Malaiische Annalen«) nacherzählt wird. Als er als Ufer kam, um die Insel zu erforschen, soll Sang Nila Utama, ein Prinz aus Palembang, etwas gesehen haben, von dem man ihm sagte, es sei ein Löwe. Das betrachtete er als gutes Omen und verwendete den Namen für das Königreich, das er dort im frühen 14. Jahrhundert gründete. (Wenn er überhaupt etwas gesehen hatte, dann war es aber wahrscheinlich ein malaiischer Tiger, denn Löwen, sogar asiatische Löwen, haben nie östlich des indischen Subkontinents gelebt. Frei lebende Tiger gab es in Singapur noch bis in die 1930er-Jahre.) Im Jahr 1824 übernahm Großbritannien die Herrschaft über die Löwenstadt.
1969, kurz bevor sich die Briten von der Insel zurückzogen, konnte man Kolonialoffiziere hören, die im Hotel Raffles ihre Abschiedsdrinks kippten und sagten: »Das ist das Ende von Singapur.« Alle waren sich einig, dass Singapur zur Hölle fahren würde; ein Sumpf, bettelarm, ein Außenposten mit einer halben Million Menschen, die keine Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Situation hatten. Als sie wieder daheim waren und die letzten Tage des Empires beobachteten, konnten diese Beamten nur aus der Ferne darauf starren, wie sich die vielleicht größte Erfolgsgeschichte der letzten 40 Jahre entfaltete. Heute zählt Singapur zu den reichsten Ländern der Welt; im Pro-Kopf-Vergleich auf Basis internationaler Währungsreserven ist es wahrscheinlich das weltweit reichste Land.
Es war Großbritannien, das zur Hölle fuhr. 1976 konnte die ehemalige Supermacht ihre Staatsanleihen nicht am Kapitalmarkt platzieren und erlitt die Schande, sich vom Internationalen Währungsfonds aus der Patsche helfen lassen zu müssen. 1918 beherrschte das Land ein Imperium, in dem die Sonne niemals unterging. Dann stürzte es innerhalb einer Generation in ein wirtschaftliches Chaos ab und war nach drei Generationen pleite.
Als sich Großbritannien wieder erholte, waren die USA schon seit mehr als einem Vierteljahrhundert die vorherrschende Weltmacht – ökonomisch, militärisch und geopolitisch. Margaret Thatcher, die 1979 gewählt wurde, schreibt sich selbst das Verdienst zu, dass es in Großbritannien schließlich zur Wende kam. Tatsache ist aber, dass 1979 auch das Jahr war, in dem das Nordseeöl zu fließen begann. Wenn Sie ein gigantisches Ölvorkommen für mich finden, werde ich Ihnen ebenfalls ein sehr gutes Leben zeigen.
Neben der fiskalischen Disziplin, die sie dem Land notwendigerweise auferlegte, beendete Margaret Thatcher auch die Wechselkurskontrollen, die seit 1939 in Großbritannien in Kraft gewesen waren. Als ich 1964 in Oxford eintraf, war das Pfund keine frei konvertierbare Währung. Man konnte es nicht kaufen oder verkaufen, außer wenn man strikte Kontrollen und Regulierungen beachtete. Man konnte keine größeren Mengen davon mit ins Ausland nehmen. Das Pfund befand sich ständig in einer Krise. In meinen Wirtschaftskursen ging es jede Woche letztlich um das jeweils neueste Problem mit dem Pfund. Der Wechselkurs war auf 2,80 Dollar festgelegt, aber das war eindeutig zu hoch. Das war alles andere als ein genaues Spiegelbild der Gesundheit – der angeschlagenen Gesundheit – der britischen Wirtschaft. Das Land stand am Rand der Pleite und verlor in jeder Hinsicht an Konkurrenzfähigkeit. Niemand investierte in Großbritannien, und die Briten konnten nicht anderswo investieren.
Als Student in Oxford hatte ich bei der Bank ein Ausländerkonto. Es wurde vermerkt, dass es sich bei meinen Einlagen um ausländisches Geld handelte, in meinem Fall um Dollars, und daher konnte ich so viel einzahlen und abheben, wie ich wollte. Die Bank führte Aufzeichnungen darüber, wie viel ausländisches Geld ich mitgebracht hatte. Und mit einem höheren Geldbetrag als diesem durfte ich das Land nicht verlassen. Das Konto wurde sehr streng und rigide kontrolliert. Ich hatte ohnehin nicht viel Geld und achtete sorgfältig darauf, für das Wochenende nicht mehr als einen bestimmten Betrag vom Konto abzuheben, denn ich war mir immer sicher, dass die Regierung eine eventuelle Abwertung am Wochenende vornehmen würde. Selbst für einen naiven 22-Jährigen war klar, dass etwas geschehen musste. Zwei Jahre lang hatte ich nie mehr als 2 Shilling und 6 Pence in der Tasche – eine halbe britische Krone.
Als die Situation immer schlimmer wurde – weil sich die Handelsbilanz verschlechterte und die Staatsverschuldung wuchs –,
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