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Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Titel: Die Wall Street ist auch nur eine Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Rogers
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ein gutes Leben in Singapur, und ich sehe keinen Grund für einen Umzug. Natürlich sah ich auch keinen Grund, New York zu verlassen, wo ich 40 Jahre lang gelebt habe. Sollte es jemals einen Grund geben, das Land zu verlassen, dann glaube ich – oder hoffe ich –, dass ich klug genug sein werde, ihn rechtzeitig zu bemerken. Die Chinesen haben eine Spruchweisheit: Von Lumpen zu Lumpen in drei Generationen. Ich glaube, es gibt in jeder Kultur eine Variante dieses Ausdrucks. Auch in Amerika: Vom Tellerwäscher zum Millionär und wieder zurück. Ein Mitglied der Familie bringt es zu Reichtum und seine Enkel, vielleicht auch erst seine Urenkel landen wieder in der Armut. Die Chinesen kennen diesen Ausdruck schon seit Jahrhunderten. Er gilt für Nationen ebenso wie für Familien. Nationen steigen auf und erleben dann einen Niedergang. Das passierte den Briten und den Spaniern, es passierte Ägypten und Rom – und jetzt passiert es den USA.
    Nur China erlebte drei oder vier Zeiträume der Größe (gefolgt von langen Perioden des Niedergangs). Verständlicherweise hat das etwas mit Philosophie zu tun. In der gesamten chinesischen Kulturgeschichte wurde die Bedeutung der Bildung betont. In der Philosophie des Konfuzius genießen Lehrer und Gelehrte hohes Ansehen. In China findet man manchmal auch heute noch Gedenktafeln, vor Jahrhunderten von den Kaisern errichtet, die an Gelehrte erinnern, die bei den kaiserlichen Prüfungen herausragende Leistungen erzielten.
    Aber Singapur ist unglaublich erfolgreich. Es gibt dort so viel Wohlstand und Wissen, dass dies während meiner Lebenszeit wohl nicht verloren gehen kann, wenn keine groben Fehler begangen werden. Zu Baby Bees Lebzeiten? Nun, das ist eine lange Zeit, 100 Jahre, von heute an gerechnet.
    Singapur ist eine Nation von Einwanderern. Vor 50 Jahren lebten dort eine Million Menschen in einem Sumpf; heute hat Singapur fünf Millionen Einwohner. Die ersten Immigranten kamen schon zur Zeit der britischen Herrschaft. Heute ist fast ein Viertel der Staatsbürger Singapurs und der dauerhaft dort Lebenden und insgesamt fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung außerhalb des Landes geboren. Singapur hat die Einwanderung aus mehreren Gründen gefördert. Anfangs benötigte das Land Kapital und Fachwissen. Heute fördert es die Einwanderung, weil es vor einem ernsthaften demografischen Problem steht: Die Bevölkerung altert rapide, und die Geburtenrate gehört zu den niedrigsten der Welt.
    Die demografische Situation in Singapur ist derart angespannt, dass die Regierung nun den Bau neuartiger Wohnungen plant: Ein Standard-Appartement und, daran angrenzend, ein kleines Studio, wo man einen alternden Vater oder eine Mutter unterbringen kann. Die Regierung hat finanzielle Anreize gesetzt, um junge Paare zu ermutigen, Kinder in die Welt zu setzen. Sie hat sogar Dating-Agenturen gegründet, um die Zahl der Paare zu erhöhen. Aber sie ist immer noch stark von Zuwanderung abhängig. Weil das Land so klein ist, kann es wählerisch sein und sich kluge, erfolgreiche und gebildete Einwanderer auszusuchen, wobei es nie vergisst, dass es auch Busfahrer braucht. Andere Länder – zum Beispiel die USA mit 300 Millionen Einwohnern – befinden sich nicht in einer derart luxuriösen ­Situation.
    Leider gab es in Singapur während der letzten Jahre gewisse Gegenreaktionen. Die Einwohner beschweren sich, dass die Busse überfüllt sind, dass die Schulen überfüllt sind – was beides nicht zutrifft –, aber die Reaktion der Regierung bestand darin, die Einwanderung recht drastisch zu beschränken. Die Regierung will den Menschen Zeit geben, um sich an die Zuwanderung zu gewöhnen, und daher hat sie, zumindest auf kurze Sicht, einige Entscheidungen getroffen, die politisch wenig zweckdienlich sind. Bei den Wahlen 2011 hat die People’s Action Party, die seit Beginn der Autonomie jede Wahl gewann, 6 ihrer 87 Parlamentssitze an die Arbeiterpartei verloren. Das war das beste Ergebnis der Opposition seit der Unabhängigkeit.
    In gewisser Hinsicht unterscheidet sich Singapur überhaupt nicht von allen anderen Ländern der Welt: Für alle erdenklichen Probleme geben die Leute von außen bequeme Sündenböcke ab. Wenn man nach Menschen sucht, die man beschuldigen kann, werden zunächst einmal die Ausländer beschuldigt. Ihre Sprache ist anders, ihre Religion ist anders, ihre Hautfarbe ist anders, ihr Essen ist anders, ihr Essen riecht komisch – sie riechen komisch … Auf der ganzen Welt habe ich solche

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