Die Wall Street ist auch nur eine Straße
WOHLSTAND wurde vor den Einwanderungsgesetzen geschaffen. Sie entstanden in den 1920er-Jahren durch Furcht und monumentale Ignoranz, auf Betreiben des Ku-Klux-Klans, mit Vorurteilen gegen sämtliche Einwanderer: Italiener, Katholiken, Juden – gegen jeden, der auch nur ein wenig anders war. Zuvor waren unsere Grenzen offen gewesen. So wie die Grenzen auf der ganzen Welt. Marco Polo besaß keinen Reisepass. Christoph Kolumbus auch nicht. Hätten unsere Vorfahren eine Erlaubnis gebraucht, um in die USA zu kommen, wäre Amerika nie zu dem geworden, was es war. Vielleicht gäbe es gar kein Amerika, wenn der Marquis de La Fayette oder Thomas Paine ein Visum gebraucht hätten. Manche der großen amerikanischen Industriellen, die uns groß gemacht haben, waren Einwanderer, zum Beispiel Andrew Carnegie und John Jacob Astor.
Während der gesamten Menschheitsgeschichte waren die reichsten Gesellschaften diejenigen, die sich der Welt öffneten. Wenn Menschen im späten 14. Jahrhundert ihre Sachen packen und nach Samarkand ziehen wollten, dann taten sie das einfach. Samarkand war eine sehr bedeutende Stadt an der Seidenstraße, zwischen China und dem Mittelmeer, reich und mit einer blühenden Kultur. Sie war die Hauptstadt des Mongolenreichs unter Tamerlan, ein großer, internationaler Schmelztiegel der Sprachen und Religionen. 400 Jahre zuvor war Córdoba in Andalusien die bevölkerungsreichste Stadt der Welt. Sie war die Hauptstadt eines islamischen Kalifats, das 100 Jahre lang blühte. In ihrer ethnischen, kulturellen und religiösen Diversität bildete die Stadt ein intellektuelles Zentrum. Sie verfügte über eine der größten Bibliotheken der Welt und förderte signifikante Fortschritte der Naturwissenschaften, der Philosophie, der Geografie, der Geschichte und der Künste.
Aus allen Teilen der Welt strömten die Menschen in diese Städte, die dadurch sogar noch größer wurden. Das passiert, wenn man die Türen offen lässt. Deng Xiaoping sagte, wenn man ein Fenster öffnet, kommen zwar ein paar Fliegen herein, aber auch Sonnenschein und frische Luft.
Auf unserer Reise um die Welt saßen Paige und ich in Sydney, Australien, mit einem Unternehmensmanager beim Abendessen, der sich über Einwanderer beklagte. Ich fand das ein wenig großspurig angesichts der Tatsache, dass dieser Geschäftsmann und seine Frau selbst Einwanderer waren. Sie waren Neuseeländer. Als ich ihn daran erinnerte, fiel ihm nichts Besseres ein als eine Antwort, die für ihn absolut sinnvoll war: »Wir waren anders. Damals war es anders.« Auf diese Denkweise trifft man ständig: Ich bin drin, jetzt schließt die Tür . Bei einer Vortragsreise in Kalifornien bekam ich die gleiche Antwort von einem amerikanischen Geschäftsmann, dessen Familie aus Europa in die USA kam, als er ein junger Erwachsener war. »Meine Familie war anders«, sagte er. Die vehementesten Gefühle gegen Einwanderer kommen meist von Leuten, die selbst eingewandert sind.
Wenn es nach mir ginge, wären sämtliche Landesgrenzen offen. Das würde eine natürliche Abfolge von Ebbe und Flut fördern und jedes Land dynamischer machen. Neues Blut, neues Kapital, neue Ideen. Das nützt jeder Gesellschaft und jeder Volkswirtschaft. Es macht uns kreativer. In der gesamten Geschichte waren ehrgeizige, kluge und energiegeladene Menschen immer die eifrigsten Einwanderer, also die Leute, die man gern einstellen würde. Das ist heute nicht anders als in den Zeiten Tamerlans.
Ich weiß nicht mehr, wo ich gerade war, aber ich sah einmal in einer Nachrichtensendung einen Bericht über einen Kubaner, der sich an ein Fass gebunden, es zu Wasser gelassen und die Meerenge von Florida überquert hatte, um in den USA wieder an Land zu gehen. Als er ankam, erwartete ihn am Strand schon die Polizei, um ihn zu verhaften und wieder nach Kuba zu deportieren. Wäre ich dort gewesen, dann hätte ich ihm sofort einen Job gegeben, statt ihn zu verhaften. Ich will, dass genau solche Leute für mich arbeiten, die tapfer und engagiert genug sind, um so etwas zu tun, und intelligent genug, um es zu überleben. Man will solche Leute in seiner Firma haben; man will, dass solche Leute in Amerika leben. Es sind diese Menschen, die in ein neues Land kommen, dort Unternehmen gründen und ein Vermögen verdienen.
Bei meiner Weltreise auf dem Motorrad kam ich 1990 nach Sibirien, in die Hafenstadt Nachodka, die etwa 85 Kilometer östlich von Wladiwostok liegt. Ein Hafenbeamter fragte mich, wie ich zu meiner
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