Die Wall Street ist auch nur eine Straße
unvorstellbar. Daher platzierten wir die Regierung in einer bestimmten Stadt, in Washington, wo sich die Volksvertreter treffen konnten. Wenn wir 2015 ein Regierungssystem einsetzten, dann würde das wahrscheinlich komplett über das Internet laufen. Es gibt keinen Grund, warum alle Politiker nach Washington ziehen müssen, wenn man bedenkt, was sich seit der Staatsgründung entwickelt hat: eine gigantische Bürokratie, die von Lobbyisten umzingelt ist und kontrolliert wird.
Wenn am Capitol Hill eine Abstimmung ansteht, sieht man überall Lobbyisten, die Ihren Abgeordneten im Auge behalten und ihn erinnern: »Vergessen Sie mich nicht.« Kongressmitglieder werden von Lobbyisten mit teuren Einladungen zum Abendessen verwöhnt. Tatsächlich schreiben die Lobbyisten die meisten Gesetze. Der Einfluss der Wähler ist gering. Nette, einfache Bürger, die in den Kongress gewählt werden, verändern sich, wenn sie nach Washington gehen.
In letzter Zeit wird immer deutlicher, wie verdorben, wenn nicht sogar korrupt Washington geworden ist. Ein Gesetzentwurf mit 2000 Seiten wird vorgelegt, und außer dem Mitarbeiterstab und vielleicht manchen Lobbyisten hat sich wohl kaum jemand die Zeit genommen, ihn zu lesen. In diesem Entwurf wird dann empfohlen, ein Expertenkomitee zu bilden, das die Details ausarbeiten soll. Das Komitee besteht natürlich aus einer Ansammlung von Lobbyisten, die an dieser Gesetzgebung interessiert sind.
Diese Parodie einer repräsentativen Regierung könnte man leicht verhindern, indem man den Kongressmitgliedern und den Senatoren verbietet, nach Washington zu gehen – außer vielleicht ein paar Mal im Jahr. Statt nach Washington zu reisen, könnte der oder die Abgeordnete aus, sagen wir mal Kalifornien, zu Hause bleiben. Seine oder ihre Kinder würden die gleichen Schulen besuchen wie die Kinder der Wähler. Er würde auf den gleichen Straßen und mit den gleichen öffentlichen Verkehrsmitteln fahren wie die Leute, deren politischer Repräsentant er ist. Er könnte im örtlichen Zeitungsbüro, in der Turnhalle der Highschool oder im Rathaus über Gesetzesvorlagen abstimmen, wo ihn jeder beobachten kann. Lobbyisten könnten immer noch kommen, um ihn zu sprechen, aber diese Lobbyisten müssten dann 535 Büros im ganzen Land aufsuchen, statt nur von der K Street zum Capitol zu gehen, wo ihnen alle 535 Abgeordneten wie auf einem Silbertablett serviert werden.
Lasst sie daheim bleiben, lasst sie von daheim aus abstimmen und von daheim aus an Konferenzen teilnehmen. Man kann heute alles verschlüsseln, was man will – sogar das Verteidigungsministerium tut das –, und daher ist Datensicherheit kein Thema. In praktischer und philosophischer Hinsicht ist die Idee vernünftig, und ihre Verwirklichung würde viel an den heutigen Abläufen ändern. Einige von diesen grotesken Gesetzentwürfen, die nicht einmal unsere Gesetzgeber verstehen, könnten durchfallen. Ein Banker, ein Installateur oder ein Lehrer würde ins Büro seines Abgeordneten kommen und sagen: »Zum Teufel! Wissen Sie überhaupt, was dieser Gesetzentwurf aussagt? Sind Sie verrückt? Das können Sie nicht tun.« Denken Sie an all die Kosten für Reisen und Wohnungen, die man einsparen könnte, und an den Druck auf die Abgeordneten.
Eine noch fortschrittlichere Lösung, die wir ausprobieren sollten, so seltsam sie sich zunächst auch anhören mag, wäre die Auswahl von Bürgern nach einem kontrollierten Zufallsprinzip, die man dann zu Kongressmitgliedern und Senatoren ernennen könnte, während sie zu Hause bleiben. Als Dienst am Volk und in Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Pflichten sollte man ihnen begrenzte Amtszeiten zuordnen. Ihren Widerwillen gegen diesen Dienst könnte man als wertvolles Gut sehen. Studien haben gezeigt: Wenn Menschen überraschend, zufällig oder einfach wegen der Umstände in verantwortungsvolle Positionen gelangen, sind sie extrem motiviert. Sie verwenden viel Zeit und Energie darauf, die relevanten Themen zu studieren. Dafür gibt es kein besseres Beispiel als die Leute, die zu Geschworenen ernannt werden. Anfangs sind sie vielleicht widerwillig, aber sie versehen ihren Dienst mit keinem anderen Ehrgeiz als dem, das Richtige zu tun, und ziehen sich fast immer gut aus der Affäre. Es gab in den USA schon viele großartige Soldaten, hoch motiviert und ehrgeizig, die ihre Laufbahn als Rekruten begonnen haben. Manche von ihnen wurden später Generäle.
Der Bürger, der beispielhaft dafür steht, ist Lucius Quinctius
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