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Duftspur

Duftspur

Titel: Duftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sinje Beck
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    Feierabend. Der Himmel hat den ganzen Tag seinen Vorhang nicht zur Seite gezogen. Im Moment behält die über uns hängende Wolke ihre Nässe oben. Feierabend ist gleich. Schön, wenn man so etwas sagen kann. Für mich wird ab morgen schon in der Früh Feierabend sein. Sanft werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Zwei Arme schlingen sich von der Seite her um mich, so dass ich das trübe Grübeln und feine Schmirgeln einer Holzfigur einstellen muss. Annegret drückt mich, spitzt die rosa ausgemalten Lippen und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Süß und klebrig bleiben dabei einige Honigbrötchenkrümel in meinem Dreitagebart haften. Annegret strahlt mich an:
    »Mein Heiner, nich abwaschen, versprochen?«
    Ich nicke und bin mächtig gerührt. So viel offene Herzlichkeit und Wärme habe ich früher lange nicht erfahren. Annegrets Finger verflechten sich in die meiner linken Hand. In der Rechten halte ich ihr Geschenk, das sie mir überreicht hat. Staunend drehe ich es hin und her. Sie hat mir einen Bilderrahmen gebastelt. Er ist aus pinkfarbenen Holzleisten zusammengeklebt. Pink ist ihre Lieblingsfarbe. Das Bild hinter der Glasscheibe zeigt uns, in der Mitte thront Alfons, ›der Chef von’s Ganze‹, wie sie gerne sagt, um ihn herum sind Bille, ihre Freundin, und Torsten, Billes Freund, ja und ich, Heiner. Alle sitzen wir einträchtig ausgelassen um ein Lagerfeuer an der Nordsee mit Stockbrot und Indianerkartoffeln. Bevor ich bei der weiteren Betrachtung sentimental werden kann, klopft es von hinten derb auf meine Schulter. Das Bild stelle ich sicherheitshalber ab, denn ich weiß, was jetzt kommt. Torsten, der Brecher, wird mich gleich durch die Luft wirbeln. Es haut mich quasi aus den Sandalen. Annegret muss mich jetzt loslassen, um sich beide Hände vors Gesicht zu pressen und ängstlich sowie amüsiert zugleich zwischen den Fingern hindurchzuspähen. Torsten hebt mich in die Höhe und singt schräg dazu, wobei er ›s‹ wie ›sch‹ spricht:
    »Hoch scholl er leben, an der Decke scholl er kleben, dreimal hoch« – und er wird mich dreimal werfen, sodass ich beinahe die alten Spinnweben an der Werkstattdecke herunterreißen kann. Meine Knochen werden dabei ganz schön durchgeschüttelt.
    »Engelchen flieg«, ruft Bille, die einen Kuchen auf dem Kopf balanciert und so graziös wie möglich trotz ihres geringen Höhenwachstums durch die breite Tür schreitet.
    »Er sieht aus wie ein Engel«, bekräftigt sie erneut, wobei die Schwarzwälder Kirsch ohne Likör bedrohlich hin- und herschwankt. Bille hat mich selten bei meinem Vornamen genannt, meist sagt sie nur ›mein Engel‹ oder ruft mich beim Nachnamen, Himmel. Aus dem Himmel fliege ich gerade das letzte Mal und lande sicher in Torstens Armen, der mich anschließend behutsam neben meine Sandalen stellt, nicht ohne mich dabei betont unauffällig abzuklopfen. Torsten liebt Radiergummis, unablässig knetet er sie, biegt und knautscht an ihnen herum und heute habe ich gleich zwei Stück in meiner Kleidung versteckt, sogar eines mit Apfelduft. Natürlich findet er sie, zieht sie wie ein geübter Taschendieb aus meinem Hemd, grinst und wie zwei alte Verschwörer nicken wir uns zu. Bille stellt die Torte auf die Drechselbank und zieht eine kleine Schnute. Doch als ich sie fröhlich anlache, lächelt sie sofort wieder, reflexartig. Bille ist eine Frohnatur und wenn sie mal enttäuscht ist, kann sie es auch nicht verbergen. Dann nämlich wird sie besonders charmant, wie jetzt. Sie wirft ihre langen Haare zurück und gurrt:
    »Hast du nicht was vergessen?«
    Bille ist eine Wucht, so wie ich mir in meiner Jugend einige Songs eingeprägt habe, merkte sie sich sämtliche Gesten und Texte der weiblichen Hauptdarsteller alter Kinoklassiker, Casablanca, China Town, Denn sie wissen nicht was sie tun und viele mehr. Der Film, aus dem sie gerade schöpft, ist mir nicht präsent sodass ich nicht in ihrer Manier kontern kann und ›Schau mir in die Augen Kleines‹ ist mir jetzt zu billig. Daher bleibe ich Heiner, vollführe eine ausladende Drehung, hier kann man sich gar nicht genug blamieren, öffne die Schublade des alten Schreibtisches, der als Werkbank für kleinere Montagearbeiten dient und ziehe ein Monchichi hervor. Diesmal eines im Michael-Schumacher-Dress. Bille nimmt es feierlich entgegen, knickst wie Sissi die Kaiserin, rafft den imaginären Reifrock und steckt das kleine Äffchen in die vorn an ihrer Latzhose aufgenähte Tasche, nicht ohne vorab dem Tierchen

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