Die Wand der Zeit
Feuer backe, löst sich das Gefieder mit dem Lehmmantel.
Durch den Matsch zu laufen ist mühsam. Er zieht den Gehenden in die Tiefe, packt ihn bei den Fußgelenken. Man hat das Gefühl, nur entkommen zu können, indem man weiterläuft. Und auch das täuscht. Das Moor ist tückisch, wenn man sich nicht damit auskennt. Einige Tümpel sind unerwartet tief und mit zähem Schlamm gefüllt. Aber ich weiß, wo sie sind. Wenn man es nicht wüsste, wenn man schwach ist, könnte es passieren,dass man in den Sumpf hineinrutscht und hilflos vor Kälte und Erschöpfung einen Mundvoll Schlamm nach dem anderen schluckt.
Hätte ich genug Holz oder Steine gehabt, hätte ich auf der ganzen Insel Wege anlegen können. Einen von meiner Höhle zum Torfmoor, einen zum Wald. Einen zu meinen Fischgründen und den Steilufern im Norden, einen Inselrundweg. So vieles hätte ich bauen können. Aber dazu hätte ich mehr gebraucht, als die Insel hergab, und vielleicht auch einen Helfer.
Selbstgespräche führe ich nicht mehr. Als ich hier ankam, waren sie für mich die einzige Möglichkeit, bei Verstand zu bleiben. Jetzt käme mir der Klang meiner Stimme in der Stille fremd vor. Niemand würde mich hören außer dem Wind, dem Regen, dem Meer. Es ist eine sprachlose Welt. Es gibt keinen Helfer. Mir macht das nichts aus.
Ich rede nicht, weil ich mir sonst einbilden würde, Antworten zu bekommen. Von einer Stimme hinterm Fels, hinterm Baum, oben vom Steilufer. Von einem, der sich versteckt, mit mir Verstecken spielt, mich abpasst.
Was die Brennstoffversorgung angeht, so steche ich lieber Torf, als dass ich Bäume fälle. Ich hebe den Torf in beinah brustkorbgroßen Stücken aus: ein Fuß lang, ein Fuß breit, ein Fuß tief. Dazu benutze ich einen Spaten, den ich mit auf die Insel gebracht habe. Je drei Stücke bringe ich zum Trocknen in die Höhle. Wenn sie ganz durchgetrocknet sind, brennen sie lange und ohne viel Rauch. Ich heize mehr mit Torf als mit Holz, weil mehr Torf da ist und beides zusammen, in diesem Verhältnis verwendet, für zwanzig Jahre reicht. Das ist gut so. Es wäre schlecht, vor der Zeit gehen zu müssen – bevor man so weit ist.
Torf stechen gehört zu den Tätigkeiten auf der Insel, die mirSpaß machen. Es hat etwas angenehm Eintöniges an sich und eine mathematische Genauigkeit, die mir liegt. Dass jede Ernte mich dem Ende ein Stück näher bringt, daran denke ich nicht. Nein, ich bin stolz auf mein Werk. Ein Besucher würde sehen, dass ich mehr oder weniger im Kreis um das Torfmoor herum arbeite. Zum Schluss müssten die Spiralen deutlich zu sehen sein, wenn auch die Ränder im Gras oder eher noch in Wasser untergehen werden. Soweit ich mich mit Torf auskenne, handelt es sich hier um ein kleines Moor. Mann muss eine dünne Schicht Gras und Schlamm abtragen, um heranzukommen, und es ist kaum mehr als einen Fuß tief. Mir genügt es aber. Von der einfachen, schlichten Tätigkeit abgesehen mag ich das Geräusch, mit dem der Spaten durch den Torf fährt. Ein organischer Laut, poetischer als der Klang einer Axt auf Holz.
Jeder Soden, den ich steche, jeder Baum, den ich fälle, ist ein Schritt zum Ende hin. Mich schreckt das nicht. Ich hoffe, ich kann vorher gehen.
Zwanzig Jahre sind keine so lange Zeit. Zehn Jahre bin ich schon hier. Hätte ich für jede Arbeit, jeden Schritt, jeden Axthieb und Spatenstich drei Mal so lange gebraucht, wäre meine Zeit vielleicht schon um. Ich stelle mir vor, so langsam zu sein. Dann wäre die Welt noch stiller.
Meine Nächte hier sind ereignislos. Nach dem Essen gibt es wenig zu tun. Im Feuerschein repariere ich meine Krabbennetze, flicke meine Kleider und versehe meine Karte mit Anmerkungen. Ich habe zwei Kladden und Tinte mitgebracht, und in diesen Kladden halte ich meine Berechnungen, meine Beobachtungen fest, in immer kleiner werdender Handschrift, immer enger zusammenrückenden Zeilen. Wo ich kann, benutze ich Holzkohle, wie bei der Inselkarte. Für einfaches Rechnen wie bei dem Kalender benutze ich einen Stein und die Wändewie ein Höhlenmensch. Oder ein Sträfling. Beide Wörter beschreiben mich treffend.
Sind diese kleinen Aufgaben erledigt, bleibt mir nur noch, ins Bett zu gehen. Kein Wein da, kein Tabak. Ich lebe hier wie ein Mönch.
Manchmal kann ich schlecht einschlafen. Am Anfang war es schwierig, und in letzter Zeit ist es noch schlimmer geworden. Das bringt das Alter mit sich. Ich habe eine Technik. Wenn es Zeit ist, schließe ich die Augen und horche. Ich horche auf
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