Die Wand
versinken.
Für Luchs hob ich noch am Abend ein Grab aus. Unter jenem Strauch mit den wohlriechenden Blättern. Ich machte die Grube tief, legte Luchs hinein, bedeckte ihn mit Erde und trat den Rasen darüber fest. Und dann war ich sehr müde, so müde wie nie zuvor. Ich wuschmich am Brunnen, dann ging ich in den Stall zu Bella. Sie gab keinen Tropfen Milch und zitterte noch immer. Ich gab ihr ein Schaff voll Wasser, aber sie trank nicht. Dann setzte ich mich auf die Bank und wartete auf die lange Nacht. Es wurde eine helle Sternennacht, und der Wind fiel kalt von den Felsen herab. Aber ich war kälter als der Wind und fror nicht.
Bella fing wieder an zu brüllen. Schließlich holte ich meinen Strohsack und trug ihn in den Stall. Angezogen legte ich mich auf ihn hin. Erst dann verstummte Bella, und ich glaube, sie schlief ein.
Beim ersten Frühlicht stand ich auf, packte meinen Rucksack und band noch ein großes Bündel darauf, nahm das Gewehr und verließ mit Bella die Alm. Der Mond hing flach und blaß am Himmel, und die erste Morgenröte färbte die Felsen. Bella ging langsam und mit gesenktem Schädel, und manchmal blieb sie stehen und blickte, dumpf aufbrüllend, zurück.
Alles, was ich nicht unbedingt brauchte, liegt heute noch auf der Alm, und ich werde es nicht holen. Oder vielleicht wird dies auch vorübergehen, und ich werde die Alm wieder betreten können.
Ich brachte Bella in ihren alten Stall, fütterte sie und richtete mich im Jagdhaus ein. Nachts kam die Katze und legte sich zu mir, und ich schlief traumlos und erschöpft.
Am nächsten Tag nahm ich meine gewohnte Arbeit wieder auf. Bella brüllte noch zwei Tage, dann wurde sie still. Solange es schön blieb, ließ ich sie auf der Lichtung weiden. Schon am folgenden Tag fing ich an, die Straße auszubessern. Das dauerte zehn Tage. Der Oktober kam, und ich erntete Erdäpfel, Bohnen und Obst. Dann stach ich den Acker um und düngte ihn. Ich hatte im Frühling so viel Holz zersägt, daß ich keinesmehr unter der Veranda unterbringen konnte. Die Streu mußte gemäht werden, aber auch das dauerte nur eine Woche, und schließlich gab ich, körperlich geschlagen und gebrochen, meine sinnlose Flucht auf und stellte mich meinen Gedanken. Es kam dabei gar nichts heraus. Ich verstehe nicht, was geschehen ist. Noch heute frage ich mich, warum der fremde Mann Stier und Luchs getötet hat. Ich hatte doch Luchs zurückgepfiffen, und er mußte wehrlos darauf warten, daß ihm der Schädel eingeschlagen wurde. Ich möchte wissen, warum der fremde Mann meine Tiere getötet hat. Ich werde es nie erfahren, und vielleicht ist es auch besser so.
Als im November der Winter hereinbrach, beschloß ich, diesen Bericht zu schreiben. Es war ein letzter Versuch. Ich konnte doch nicht den ganzen Winter am Tisch sitzen mit dieser einen Frage im Kopf, die mir kein Mensch, überhaupt niemand auf der Welt, beantworten kann. Ich habe fast vier Monate dazu gebraucht, diesen Bericht zu schreiben.
Jetzt bin ich ganz ruhig. Ich sehe ein kleines Stück weiter. Ich sehe, daß dies noch nicht das Ende ist. Alles geht weiter. Seit heute früh bin ich ganz sicher, daß Bella ein Kalb haben wird. Und, wer weiß, vielleicht wird es doch wieder junge Katzen geben. Stier, Perle, Tiger und Luchs wird es nie wieder geben, aber etwas Neues kommt heran, und ich kann mich ihm nicht entziehen. Wenn die Zeit ohne Feuer und ohne Munition kommen wird, werde ich mich mit ihr befassen und einen Ausweg suchen. Aber jetzt habe ich anderes zu tun. Sobald das Wetter wärmer wird, werde ich darangehen, die Kammer in Bellas neuen Stall umzubauen, und es wird mir auch gelingen, die Tür auszubrechen. Ich weiß noch nicht wie, aber es wird mir bestimmt noch einfallen. Ich werde Bella und dem neuen Kalb ganz nahe sein undwerde sie Tag und Nacht bewachen. Die Erinnerung, die Trauer und die Furcht werden bleiben und die schwere Arbeit, solange ich lebe.
Heute, am fünfundzwanzigsten Februar, beende ich meinen Bericht. Es ist kein Blatt Papier übriggeblieben. Es ist jetzt gegen fünf Uhr abends und schon so hell, daß ich ohne Lampe schreiben kann. Die Krähen haben sich erhoben und kreisen schreiend über dem Wald. Wenn sie nicht mehr zu sehen sind, werde ich auf die Lichtung gehen und die weiße Krähe füttern. Sie wartet schon auf mich.
Nachwort
Sie war eine ebenso bescheidene wie bedeutsame Dichterin, diese Marlen Haushofer, die man in unserer Zivilisation, die sich dreht und windet und lautlos
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