Die Wanderapothekerin 1-6
sich das Schienbein an einer herumstehenden Truhe anstieß.
»Aua!«, stöhnte sie und funkelte die Frau empört an.
»Ihr müsst euch hinter mir halten«, antwortete diese ungerührt.
»Ein bisschen Licht hättet ihr hier schon machen können«, beschwerte Klara sich.
»Uns ist nicht nach Licht und Helligkeit zumute! In diesem Haus ist der Tod ein steter Gast. Sollen wir ihm etwa seinen Weg erleuchten, damit er seine Opfer rascher findet?«
»Ist hier eine Seuche ausgebrochen?«, fragte Klara erschrocken.
»Keine Seuche, die unsereins trifft. Sie rafft nur die Hochwohlgeborenen hin, zuerst den alten Herrn, dann die alte Gräfin und den jungen Herrn. Nun ringt dessen Gemahlin mit dem Tod! Ich hatte so gehofft, dein Bruder würde die geweihte Kerze bringen, um die ich ihn gebeten hatte, doch er ist nicht zurückgekehrt. Wahrscheinlich ist Baron Triberg an seinem Verschwinden schuld. Von diesem stammt gewiss auch das Gift, das die Familie der Reichsgrafen auf Waldstein einen nach dem anderen ausrottet.«
»Bei Gott, das wäre schrecklich!«, stieß Klara aus. »Ich hatte die Hoffnung, Gerold wäre von Soldatenwerbern in ein Regiment gepresst worden.«
»Auch das kann Triberg veranlasst haben. Er ist ein entfernter Vetter der Familie und nun der nächste Erbe.« Die Bedienstete blies die Luft scharf durch die Nase und wandte sich den beiden jungen Frauen zu.
»Wahrscheinlich hat er auch den ältesten Sohn des Grafen umgebracht, ebenso einen anderen Neffen und dessen Tochter. Die sind vor drei Jahren ums Leben gekommen. Im letzten Jahr begann dann das Sterben hier bei uns.«
Klara sah die Frau entsetzt an. »Konnte man denn überhaupt nichts tun?«
»Wie will man etwas beweisen, das sich nicht beweisen lässt? Baron Triberg hat dieses Schloss das letzte Mal vor fünf Jahren betreten und wurde damals von unserem Herrn zum Teufel gejagt. Waldstein hat ihm auch verboten, weiterhin den gräflichen Titel zu verwenden, und so musste der Mann den geringeren Titel des Barons Triberg annehmen, den seine Mutter ihm vererbt hat.«
In der Stimme der Frau klang ein Hass auf, der Klara erschreckte. Am liebsten wäre sie umgedreht und in die Nacht hineingegangen. Doch wenn sie das tat, würde wohl keiner von Rumold Justs Wanderapothekern mehr seine Arzneien in diesem Landstrich verkaufen dürfen. Aus dem Grund biss sie die Zähne zusammen und folgte der Frau in einen Raum im hintersten Teil des Seitenflügels.
»Hier könnt ihr übernachten. Essen bekommt ihr in der Küche. Wagt es aber ja nicht, den Haupttrakt des Schlosses zu betreten. Das ist keinem erlaubt bis auf jenen, denen wir voll und ganz vertrauen können.«
»Das verstehe ich«, sagte Klara.
Martha nickte verschüchtert. Auch sie hatte keine Lust, hier anzuecken. Ihre Führerin hörte sich nämlich ganz so an, als würde sie sie von den Hunden zerreißen lassen, wenn sie dieses Gebot übertraten.
2.
K aum waren sie allein, eilte Martha zum Fenster, öffnete es und stieß die Fensterläden auf. »Ich brauche frische Luft«, stöhnte sie.
Klara nickte. In diesem Raum war es noch dunkler und stickiger gewesen als auf den Gängen, aber im Licht des hellen Tages wirkte er sogar heimelig. Die Kammer war größer, als sie angenommen hatte, und verfügte über ein breites Bett, das mit zwei, allerdings muffig riechenden Strohsäcken ausgestattet war. Darüber hinaus gab es einen bemalten Schrank in der Ecke, zwei einfache Schemel und einen kleinen Klapptisch, der schmal wie ein Brett an der Wand stand.
Weder Klara noch Martha wagten es, den Tisch aufzustellen. Klara war einfach nur froh, ihr Reff absetzen zu können, und stellte es neben den Tisch. Dann sah sie sich zu Martha um.
»Wir sollten zusehen, dass wir an Wasser kommen. Ich muss trinken und würde mir gerne den Schweiß abwaschen. Auch sind meine Hände nicht gerade sauber.«
»Die meinen auch nicht!« Martha trat zur Tür und öffnete sie.
Eine junge Frau kam vorbei, blieb stehen und funkelte sie böse an. »Was willst du denn hier?«
»Man hat uns hierhergeführt«, antwortete Martha.
»Wer?«
»Den Namen weiß ich nicht. Es war eine Frau mittleren Alters in einem schwarzen Kleid und einer grauen Schürze.«
»Dann war es die Mamsell. Das wundert mich, denn sonst weist sie alle ab, die hierherkommen!« Die junge Frau klang immer noch misstrauisch.
»Wir sind Wanderapothekerinnen«, erklärte Martha zuvorkommend. »Wahrscheinlich hat uns die Mamsell deshalb
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