Die Wanderapothekerin 1-6
»Es braucht ja niemand von dem Schatz zu wissen. Wir verkaufen die Goldschüsselchen einfach an einem anderen Ort.«
»Und müssten dort der Obrigkeit ihren Anteil überlassen! Nein, Bruder, mein Anteil bleibt dort, wo er ist. Ich habe doch gesehen, wie es dir ergangen ist. Obwohl du als Älterer von uns beiden das Haus und den Acker unseres Vaters geerbt hast, besitzt du jetzt weniger als ich – und das trotz deines Schatzes. Ich sage dir, das Gold ist verflucht! Dein erstes Weib starb ebenso wie der Sohn, den sie gebären sollte. Das wäre nicht geschehen, wenn du dieses Teufelsgold nicht genommen und ausgegeben hättest.«
»Das war nicht deswegen!« In Alois Schneidt stieg rote Wut auf seinen Bruder hoch, der sich nicht überreden ließ, ihm wenigstens einen Teil des gefundenen Schatzes zu überlassen. Während sich Martin ein Stück von dem Stockbrot, das vom Abendessen übrig geblieben war, als Frühstück in den Mund steckte, packte er ihn bei den Schultern.
»Wenn du Angst vor dem Gold hast, dann gib es mir ganz! Ich fürchte mich nicht davor.«
»Dieses Gold würde dich endgültig ins Unglück stürzen. Das lasse ich nicht zu!« Mit einem Ruck befreite Martin Schneidt sich aus dem Griff seines Bruders, nahm sein Reff auf den Rücken und packte den mit einer Eisenspitze versehenen Stab, der ihm bei seiner Wanderung als Stütze diente. »Befreie dich von dem Dämon, der dich ergriffen hat, und du wirst glücklicher leben!«, riet er seinem Bruder noch und machte sich auf den Weg.
Alois starrte hinter Martin her und ballte die Fäuste. »Tu nicht so scheinheilig, du Heimtücker! Du willst das Gold doch nur für dich selbst haben«, murmelte er.
Einen Augenblick kam ihm der Gedanke, dass er eigentlich kein Anrecht mehr auf dieses Gold besaß. Es war schließlich der Anteil des Bruders, den er damals selbst gleich zu gleich abgezählt hatte. Dann aber erinnerte er sich, dass er das Gold entdeckt hatte. Seinem Bruder wäre es gewiss entgangen. Der Gedanke regte ihn noch mehr auf. Voller Zorn packte er sein Reff, schulterte es und eilte hinter Martin her.
Es dauerte einige Zeit, bis er ihn eingeholt hatte. Doch als er erneut über das Gold zu sprechen begann, sah Martin ihn kopfschüttelnd an. »Du hättest dir die Blätter abklopfen sollen, Bruder. Sie hängen dir sogar noch am Hut!«
»Lass mich mit den verdammten Blättern in Ruhe!«, schrie Alois ihn an. »Ich sehe nur, dass du mich im Stich lassen willst. Ich brauche das Gold! Verstehst du denn nicht? Du hast keine Verwendung dafür, wie du selber gesagt hast.«
»Alois, beruhige dich und denke nur einmal in Ruhe nach. Dann siehst du ebenfalls ein, dass dieses Gold nur Unglück bringt.«
Die Worte des Bruders gingen jedoch an Alois Schneidt vorbei. »Ich muss das Gold haben!«, schrie er. »Du musst es mir geben! Schließlich bin ich der Ältere von uns beiden!«
»Aber leider nicht der Klügere«, antwortete Martin, der nun ebenfalls zornig wurde. »Weißt du, Bruder, langsam bedaure ich es, dass wir uns gestern hier getroffen haben. Wenn du nicht gescheiter wirst, werde ich den Heimweg allein antreten und nächstes Jahr alles daransetzen, dir unterwegs nicht zu begegnen.«
Jedes Wort des Bruders traf Alois Schneidt wie ein Schlag. Mit einem gellenden Schrei entledigte er sich seines Reffs, stellte es achtlos hin und packte Martin am Kragen seines Rocks. »Du gibst mir das Gold, sonst …«
»Was sonst?«, keuchte Martin und versuchte, sich zu befreien. Doch er wurde von seinem Traggestell behindert und kam daher nicht gegen seinen Bruder an.
»Sag mir, wo du den Schatz versteckt hast! Sag es mir …« Alois Schneidt schüttelte seinen Bruder und legte, als dieser nach ihm schlug, die Hände um dessen Hals.
»Das Gold ist mein!«, kreischte er, während er immer stärker zudrückte. »Ich habe damals gesagt, dass wir unter jenem Baum lagern sollen! Ich habe den zerbrochenen Krug mit den Goldschüsselchen gefunden! Also hätte ich dir gar nichts abgeben müssen! Du hast nicht das Recht, mir das Gold zu verweigern.«
Martin spürte, wie ihm der Atem wegblieb. Bei Gott, er erwürgt mich noch, schoss es ihm durch den Kopf. Als er sich zu wehren begann, rutschte das Reff auf seine Oberarme und behinderte ihn noch mehr. Verzweifelt versuchte er, die Tragriemen abzustreifen, schaffte es aber nicht.
»Alois, wir sind doch Brüder!«, brachte er mühsam heraus, dann wurde es schwarz um ihn.
»Ja, wir sind Brüder! Doch das hast du vergessen, du
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