Die Wanderapothekerin 1-6
weinten so, dass ihnen die Tränen wie kleine Bäche über die Wangen rannen.
»Wenn du willst, werde ich mit dem Herrn Laboranten reden, Schwägerin. Ich muss sowieso nach Königsee, um mit Just abzurechnen. Es wird ihm natürlich nicht gefallen, dass du nicht zahlen kannst. Du weißt ja, wie er gezögert hat, Gerold die Waren zu überlassen. Ihm schien es ein zu großes Risiko, den Jungen loszuschicken, weil Gerold noch keine Erfahrung als Wanderapotheker gemacht hatte. Mein Bruder hätte seinen Sohn schon in den letzten Jahren mitnehmen sollen, damit er dessen Wanderstrecke und vor allem die Menschen kennenlernt, die ihm etwas abkaufen.«
»Dann wäre er im letzten Jahr zusammen mit dem Vater verschwunden!«, rief Klara aus.
Alois Schneidt schüttelte den Kopf. »Das muss nicht sein. Wahrscheinlich hätten sie es gemeinsam geschafft, ihre Strecke zu Ende zu bringen. Doch so ist alles den Bach hinabgegangen. Mein Bruder und mein Neffe sind fort, ihr habt einen Haufen Schulden bei Just, und die Steuern werdet ihr heuer auch nicht zahlen können. Wir sollten daher noch einmal reden, Schwägerin. Einen Ausweg gibt es noch, das weißt du!«
Nun wurde Klara hellhörig. Ging es dabei wieder um Gold wie im letzten Jahr? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Vater irgendwelche Reichtümer besessen hatte. Zwar war er stets sehr sparsam gewesen, aber er hatte alles Geld, was übrig geblieben war, in das Haus und das Stück Land gesteckt, auf dem ihre Familie nun Kräuter für den Laboranten zog. Ihr Onkel hingegen hatte stets auf großem Fuß gelebt, und dessen Ehefrau gab das Geld ebenso gerne aus wie ihre Base Reglind, sei es für Kleiderstoff oder ein Schmuckstück. Auch leisteten die beiden sich jedes Mal teure Leckerbissen, wenn sie den Jahrmarkt von Königsee oder andere Märkte besuchten. Ihr Vater hatte diese Lebensweise stets bekrittelt. Eine Bratwurst und einen Becher leichten Fruchtweins beim Jahrmarkt für jeden, das hatte er noch eingesehen, mehr aber nicht. Trotzdem hatte er nicht so viele Ersparnisse hinterlassen, wie nötig wären, um die Schulden und die fälligen Steuern bezahlen zu können, geschweige denn, um über den Winter zu kommen.
In ihre Überlegungen verstrickt, hatte Klara die Antwort ihrer Mutter überhört. Dem mit einem Mal so zufrieden glänzenden Gesicht ihres Onkels nach schien sie so ausgefallen zu sein, wie er es erhofft hatte. Klara fand das ganz und gar nicht gut. Wie es aussah, versuchte der Onkel, die Notlage ihrer Mutter auszunützen.
»Ich muss jetzt nach Hause! Mein Weib und meine Tochter machen sich gewiss Sorgen, weil ich wegen der Suche nach Gerold so lange ausgeblieben bin.«
Alois Schneidts Worte verstärkten das Gefühl der Witwe, in seiner Schuld zu stehen, und sie nickte. »Tu das, Schwager! Sobald ich mich besser fühle, werden wir über alles reden. Vielleicht ergibt sich doch ein Ausweg in dieser düsteren Stunde.«
»Der ergibt sich ganz gewiss, Schwägerin!« Damit wandte Alois Schneidt sich ab und schritt die schmale Straße hinab zu seinem eigenen Anwesen.
Das Haus und den kleinen Acker dahinter hatten er und Martin von ihrem Vater geerbt, und da er seinen Bruder mit einer bescheidenen Summe abgefunden hatte, gehörte es nun ihm allein. Martin hatte sich ein anderes Haus gekauft und war trotzdem nur wenige Jahre später besser dagestanden als er. Zwar hatte das Gold aus dem vergrabenen Schatz Alois eine Zeitlang das Gefühl gegeben, reich zu sein, doch es war ihm wie Wasser durch die Hände geronnen.
Zuletzt war es ihm und seiner Familie nur mit Ach und Krach gelungen, über die Winter zu kommen und dem Laboranten jene Erzeugnisse zu bezahlen, die er auf seinen Wanderungen verkaufte. Er hatte schließlich seinen Bruder und nach diesem auch seinen Neffen um Hilfe gebeten, doch die war ihm schnöde verweigert worden. Nun stand seine Schwägerin allein da und hatte keine andere Wahl, als auf seine Forderungen einzugehen.
Während Alois Schneidt auf sein Haus zuschritt, überlegte er, welchen Anteil an dem Schatz er Johanna Schneidt und ihren Kindern überlassen sollte. Die Hälfte erschien ihm zu viel. So viel brauchte die Witwe nicht, zumal sie noch ihren Kräutergarten besaß. Daher würde ein Drittel reichen. Da Frauen bekanntermaßen nicht mit Geld umgehen konnten, fand er schließlich ein Viertel des Schatzes für sie mehr als ausreichend. Es würde auffallen, wenn die Schwägerin zu viel Geld ausgab, denn das konnte zu Fragen führen, die er nicht
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